Martin Seidel
Bill Traylor
»The Deep Blues 1854-1949«
Kunstmuseum Bern, 4.11.1998 – 31.01.1999
Museum Ludwig Köln, 26.2. – 16.5.1999
Bill Traylor (1854-1949) hätte sich an seinem Lebensabend auch vor seine Hütte in Benton in Alabama setzen und beginnen können zu schnitzen. Doch der einundachtzigjährige afroamerikanische ehemalige Sklave und spätere Landarbeiter, der neun eheliche und eine noch größere Zahl unehelicher Kinder in die Welt gesetzt hatte, machte etwas anderes. Er, der nicht lesen und nicht schreiben konnte, begab sich in die 35 Meilen entfernte Hauptstadt Montgomery, setzte sich im Schwarzenviertel an einen Straßenrand und fing an zu zeichnen. Er nächtigte im Hinterzimmer eines Bestattungsunternehmens, verbrachte die Tage auf einer Kiste sitzend in der Monroe Avenue und zeichnete, was ihm vor das alte Auge und in den Sinn kam: Menschen vor allem und Tiere. Nur wenige interessierte, was Traylor, ein bulliger Rauschebart, da mit einem Bleistiftstummel auf Abfallpapieren zusammenkrickelte und zusammenkonstruierte. Bis zufällig der gegen die Rassendiskriminierung eintretende weiße Maler Charles Shannon (1914-1996) vorbeikam und den Greis und früheren Sklaven Bill Traylor zum Künstler erklärte. Am Ende eines langen Lebens, das in Armut begann und in Armut endete, gab es für Traylor – sehr zu dessen Verwunderung – auf Vermittlung seines Entdeckers 1940 eine Ausstellung unter dem Titel “Bill Traylor – People’s Artist”, und 1942 eine zweite Schau in New York, die mit Traylor einen “American Primitive” und das “Work of an old Negro” vorstellte.
Nach solchem Hollywood-reifen Menschenschicksal, das die Sklaverei, den Bürgerkrieg, zwei Weltkriege und die Weltwirtschaftskrise überstand, darf im Alter von 95 Jahren…