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Monografien / Gespräche mit Künstlern · von Heinz-Norbert Jocks · S. 168 - 189
Monografien / Gespräche mit Künstlern , 2016

Christo

Wie Jesus auf dem Wasser des Lago d’Iseo
Ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks

Wenn es einem Künstlerpaar seit Jahrzehnten wieder und wieder geglückt ist, die Schönheit zu grüßen und ihr zu Exklusiverscheinungen zu verhelfen, so mit Sicherheit dem heute 81jährigen Christo mit seiner 2009 verstorbenen Frau Jeanne-Claude. Ihre einmaligen, zeitlich begrenzten Interventionen locken ein Millionenpublikum aus aller Welt an. Zuletzt im Juni an 16 Tagen mit ihren „Floating Piers” auf dem 100 Kilometer östlich von Mailand gelegenen italienischen Lago d`Iseo. Auf zwei Stegen, die sich über mehrere Kilometer hinzogen, konnte man, die Bewegungen des Wassers unter den nackten Füßen spürend, vom Festland aus zu den sonst nur per Boot erreichbaren Inseln San Paolo und Monte Isola laufen. The Floating Piers, deren Realisierung 19,5 Millionen US-Dollar verschlang, war das erste, von Christo ohne seine Frau vollendete, am 3. Juli 2016 letztmalig begehbare Großprojekt.

Christo Vladimirov Javacheff, am 13.Juni 1935 im bulgarischen Gabrovo geboren, bildete mit Jeanne-Claude Denat de Guillebon, ebenfalls am 13. Juni 1935 geboren, aber in Casablanca, bis zu ihrem Tod am 18. November 2009 in New York das Künstlerpaar Christo und Jeanne-Claude. Bekannt wurde Christo nach seinem Anschluss an die 1960 von Pierre Restany und Yves Klein in Paris gegründeten Gruppe „Nouveau Réalisme“, ohne je deren offizielles Mitglied gewesen zu sein. Seine Kunst, ursprünglich aus der Assemblage entwickelt, erfuhr durch die gemeinsam mit seiner Frau realisierten Verhüllungen von Landschaftsräumen, Industrieobjekten und bekannten Bauwerken eine uferlose Erweiterung. Popularität erlangte das Paar 1995 in Deutschland durch die Verhüllung des Berliner Reichstagsgebäudes. In Paris, wohin es ihn früh zog, weil die Seine-Metropole als das Mekka der Kunst galt, machte er den wegweisenden, sein Image prägenden Schritt: Er verhüllte Dosen, Flaschen, Stühle, ein Auto, weder besonders schöne noch bedeutsame Alltagsgegenstände. Für ihn, der gegen die Hierarchisierung künstlerischer Ausdrucksformen und Inhalte revoltierte, konnte jedes Objekt Teil der Kunst werden. Besondere Aufmerksamkeit wurde zwischen 1958 und 59 den mit harzgetränkter Leinwand umgebenden, verschnürten, mit Leim, Firnis, Sand und Autolack behandelten, verpackten Dosen und Flaschen geschenkt. Seine Verhüllungen interpretierte David Bourdon als „Offenbarung durch Verbergen“.

Heinz-Norbert Jocks: Christo, könnten Sie mir etwas über Ihre Herkunft und darüber erzählen, was Sie nach New York verschlug?

Christo: Ja, meine Mutter stammte aus Mazedonien, mein Vater war halb Bulgare und halb Tscheche. Während des von russischen Panzern zerschlagenen Ungarn-Aufstands 1956 besuchte ich in Prag meinen Onkel und meine Cousins und floh von dort in den Westen nach Österreich und schließlich nach Paris.

Warum verließen Sie Bulgarien?

Um darauf zu antworten, muss ich weiter ausholen. Ich bin der Zweitälteste von drei Brüdern. Als ich fünf oder sechs Jahre alt war, sah mich meine Mutter immer zeichnend. Sie arbeitete als Generalsekretärin der Akademie der Schönen Künste in Sofia, interessierte sich für Kunst und war mit Schriftstellern, Künstlern und Intellektuellen und mein Vater vorwiegend mit Wissenschaftlern befreundet. Weil ihr mein künstlerisches Talent und meine Leidenschaft nicht entgangen war, lag ihr daran, dass ich Privatunterricht in Malerei, Zeichnung und Architektur bekam, um später Architekt zu werden. Und so wurde ich nach der Schule von Malern und Bildhauern unterrichtet und machte meine ersten Skulpturen. Übrigens entdeckte ich meine Leidenschaft im Umgang mit großen Stoffbahnen in der Fabrik meines Vaters. Dort fertigte ich erstmals Zeichnungen von großen Stoffballen an.

Im Jahr der Machtergreifung durch die Kommunisten in Bulgarien war ich zehn Jahre alt. Der Krieg war gerade vorbei, die stalinistische Ära hart, die Armut groß. An der Kunstakademie, so konservativ wie die Akademien des 19. Jahrhunderts in Deutschland, studierte ich insgesamt acht Jahre und davon die ersten vier Malerei, Skulptur, Architektur und dekorative Künste. Sogar Medizin, insbesondere Muskelaufbau und dergleichen standen auf dem Lehrplan. Danach konnte man sich auf Malerei oder Skulptur spezialisieren. Ich floh nicht nur wegen der politischen Lage, sondern auch, weil ich noch nicht zu lernen aufhören wollte und mich noch nicht entscheiden konnte, wer ich sein und was ich machen wollte. Das war das Eine. Zum anderen waren die Zeiten schrecklich. An all die schlimmen Ereignisse möchte ich mich ungern erinnern. Alles in allem ein Horror der Unterdrückung. Reinster Terror. Ich ging zunächst nach Prag. Diese Stadt, in der ich zum ersten Mal Originale moderner Kunst sah, repräsentierte für uns den Westen. Zuvor kannte ich nur Reproduktionen, und das illegaler Weise. Einmal in Prag, wollte ich nicht wieder zurück. Um zu überleben, jobbte ich, kaum Deutsch sprechend, in Restaurants. Ich wusch Autos und malte mit meinem Familiennamen Javacheff signierte Portraits von Bekannten.Schließlich wollte ich nach Wien. Natürlich konnte man nicht ohne weiteres ein kommunistisches Land verlassen. Zum Glück gelang ich mit dem Zug dorthin, wo ich bei einem Freund meines Vaters herzlich aufgenommen wurde.

Für Sie ist eine Rückkehr in das, was man Heimat nennt, wohl unvorstellbar.

Ja, nie wieder werde ich einen Fuß auf bulgarischen Boden setzen. Zu negativ ist die dort verbrachte Zeit besetzt. Da ich aus politischen Gründen geflohen war, wurden nicht nur meine Eltern verfolgt, sondern auch mein Neffe und älterer Bruder zur Verantwortung gezogen. In den Jahren zwischen 1958 und 1960 gingen gewaltige Veränderungen vor sich. Die Welt schien für immer in zwei, sich feindlich gegenüberstehende Blöcke auseinandergerissen zu sein. Hier die kommunistische und dort die kapitalistische Welt. Nichts schien mehr für immer Bestand zu haben.

Wann sahen Sie Ihre Eltern wieder?

Fünfundzwanzig Jahre später. Dank des Engagements und der Unterzeichnung der Charta für Menschenrechte durch den amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter konnte ich meine kranken Eltern kommen lassen. Ich sah sie zweimal vor ihrem Tod.

Wer wie ich flieht, um Kunst zu machen, den kann nichts und niemand daran hindern. Die Makedonier sind für ihre Dickköpfigkeit bekannt. Wenn die eigene Identität so eng und leidenschaftlich wie in meinem Fall mit dem Willen zur künstlerischen Tätigkeit verwoben ist, so ist dies keine Arbeit, sondern Genuss, der auch nicht dadurch geschmälert wird, dass ich für einige Projekte 30 Jahre meiner Lebenszeit opferte.

ANKUNFT IN WIEn

Wie war die Zeit in Wien?

Über alles genoss ich die Freiheit. Doch die Situation war keine einfache. Denn nach Wien zog es viele Flüchtlinge aus Bulgarien, und wer die Grenze heil überquert hatte, unternahm alles, um nicht in ein Flüchtlingslager gesteckt zu werden. Man konnte sich ja nicht aussuchen, wohin man kam, und mich drängte es nach Paris. Zum Glück hatte ich in Wien mein Studienbuch dabei, sodass ich nachweisen konnte, Student der Akademie der Schönen Künste in Sofia zu sein. Noch vor meiner Kontaktaufnahme zu den für die Flüchtlinge zuständigen Stellen der Vereinten Nationen schrieb ich mich an der Kunstakademie in Wien ein. So hatte ich den Status eines Studenten und war kein Flüchtling mehr. Weil es leichter war, von Genf, wo sich das Hauptquartier der Vereinten Nationen für Flüchtlinge befand, nach Paris zu gelangen, wollte ich unbedingt dorthin, wo mich Ende September 1957 Offiziere dabei unterstützten, Paris zu erreichen. Im März 1958 war ich endlich am Ort meiner Sehnsucht. Aber ganz allein. Ein familienloser Flüchtling. Die sechs Jahre zwischen 1958 und 1964 verbrachte ich vorwiegend in Paris, für eine gewisse Zeit auch in Rom, Deutschland, Holland, Italien, England und in der Schweiz. Alles in allem war ich siebzehn Jahre lang staatenlos und ohne Pass. Auch in New York, wohin wir im Februar 1964 zogen und wo wir seit mehr als 50 Jahren dieses zunächst gemietete, später gekaufte Gebäude hier vom Erdgeschoss bis zum Dach bewohnten. Mit einem Touristenvisum angekommen und danach untergetaucht, waren wir über drei Jahre illegal hier, bis wir 1973 dank der Green Card amerikanische Staatsbürger wurden. Dadurch bedingt, dass wir in New York wohnten, konzipierten und bereiteten Jeanne-Claude und ich hier in diesem Haus all unsere Projekte für die Orte vor, die ich entweder gut kenne oder zu denen ich durch andere Menschen oder aufgrund von bestimmten Umständen kam. Zum Beispiel hatte ich von meinem Vater die Kontaktadresse eines seiner Freunde namens Rosenkranz, -übrigens meine einzige zum Westen-, mit dem er um 1920 in Wien befreundet war. Nun sprach ich in Paris sehr schlecht Französisch, kein Deutsch, nur Russisch und Bulgarisch und schrieb Briefe an diesen mir fremden Mann. Damals war ich ein Nobody. Eines schönen Tages im Frühling 1958 klopfte es an der Tür meines dunklen Raumes, und wer stand vor mir? Rosenkranz, aber nicht der Freund meines Vaters, sondern Dieter, sein Sohn, der mir erzählte, Sammler moderner Kunst zu sein, mir Werke abkaufte und vorschlug, ihn nach Köln zu begleiten. Dort begegnete ich u.a. John Cage, Nam June Paik und Mary Bauermeister.

Später um 1961 lernten Sie auch Heinz Mack, Günther Uecker und Otto Piene, das Trio der Gruppe ZERO kennen.

Ja, und das Dank des verstorbenen Kunsthistorikers und damaligen Direktors des Städtischen Museums in Leverkusen und später als Professor in New York lebenden Udo Kultermann.

Sehen Sie eine Verbindung zwischen Ihrem und dem Kunstverständnis der Gruppe ZERO?

Ich hatte mit ZERO im engeren Sinne nichts am Hut. Ich mag die Arbeiten von Piene, Mack und Uecker sehr, kenne einige ihrer Aktionen und machte ihre Bekanntschaft in Düsseldorf bei dem Galeristen Alfred Schmela. 1964 hatten Jeanne-Claude und ich bei ihm eine Einzelausstellung in der kleinen Galerie auf der Hunsrückenstraße, und weil Uecker im Februar sein unbeheiztes Studio nicht nutzte, konnten wir dort sämtliche Pakete und kleinen Gegenstände abstellen und dort arbeiten. Von unserer Ankunft im Januar bis zur Eröffnung hatten wir zwei Wochen zur Vorbereitung unserer Ausstellung und wohnten im Gästezimmer bei Günther in Oberkassel. Das war unsere erste Begegnung, also genau in dem Jahr, da Yves Klein starb. Übrigens besitze ich eine schöne Arbeit von Uecker und Mack und eine kleine von Piene, alle von 1963. Damals tauschten wir Arbeiten untereinander. Trotz der Werke einiger Künstler, darunter auch von Carl Andre, die unser eigen sind, verstehen wir uns keineswegs als Sammler.

In New York

In New York City selbst realisierten Sie 2005 zwischen dem 12. und 27. Februar „The Gates“ auf den Wegen des Central Parks. Auf einer Gesamtstrecke von 37 Kilometern verteilt, standen fünf Meter hohe Vinyl-Tore, 7503 an der Zahl, von denen safrangelbe Stoffbahnen herabhingen. Dafür wurden über 100.000 m² Stoff speziell produziert und verwendet.

Ja, bis heute wurden alle Projekte hier konzipiert. Ein weiteres ist „Wrapped Coast“, die von 130 Mitarbeitern umgesetzte Verhüllung eines Küstenstreifens in Australien gegen Ende des Jahres 1969. Dabei wurden ein Volumen von 93.000 m² an Synthetik-Gewebe und insgesamt 56 km Seil verlegt. Ein weiteres Projekt war 1968 die Verpackung der Kunsthalle Bern.

Das war ja zu der Zeit, als Harald Szeemann deren Leiter war.

Ja, dazu kam es wie folgt: Da wir nach einem öffentlichen Gebäude in New York Ausschau hielten, schickten wir einen Brief an den damaligen Präsidenten Johnson und die zuständigen Stellen. Doch unser Wille wurde nicht erhört. Wir hatten auch die Idee, ein ganz normales Gebäude in New York zu verpacken, und sprachen Freunde an, aber sämtliche Versuche scheiterten. Als uns Mitte der 60er Jahre die Verpackung des Time Square Nummer 1 ebenfalls nicht erlaubt wurde, kam uns die Idee, ein Kunstmuseum wie die Galleria Nazionale d’Arte Moderna in Rom zu verpacken. Auch dafür gab es keine Genehmigung. Um 1966 bereitete William Rubin, der damalige Direktor und Kurator des Museum of Modern Art eine große Dada- und Surrealismus-Ausstellung vor. Er kannte unser Rue-Visconti-Projekt in Paris. Dort hatten wir ohne behördliche Genehmigung die Seitenstraße der Rue de Seine mit 89 zur Mauer hochgestapelten Ölfässern versperrt. Für uns war dies eine Reaktion auf den Bau der Berliner Mauer, auch Eiserner Vorhang genannt. Er schlug uns vor, nach Schließung der Dada-Ausstellung und nach Rücktransport sämtlicher Werke zwei Wochen lang etwas im Eingangsbereich des MoMA auf der 56th Street zu machen, doch die offizielle Zusage blieb aus. Als uns 1968 Harald Szeemann für seine Ausstellung anlässlich des 50. Jubiläumjahres der Kunsthalle Bern um eine Idee bat, schlug ich ihm deren Verhüllung vor. Gesagt, getan. Und 1969 verhüllten wir endlich auch die australische Küste. Zu dem Projekt hatten wir bereits Mitte der 60er Jahre Zeichnungen und Collagen angefertigt, aber immer noch keine Erlaubnis. Deswegen bat ich Freunde um Hilfe, darunter auch der damalige Direktor des Brooklyn Museums, aber nichts half. Im Sommer 1968 rief uns der junge Sammler John Kaldor aus Australien an, der uns ein kleines Paket abgekauft hatte und erzählte, dass die Firma, für die er tätig war, einen Künstler zu Vorlesungen einladen möchte. Ich lehne mit der Begründung ab, mein Englisch sei zu schlecht, und fragte ihn gleichzeitig, ob er uns dabei behilflich sein könnte, einen Küstenstreifen in Australien, dem Land mit der längsten Küste der Welt zu finden. Wahrlich keine leichte Aufgabe, aber John wurde die Zustimmung für die Monate zwischen September und November des darauffolgenden Jahres gegeben. So schwierig die Umsetzung unserer Projekte und das Ringen um die Einwilligung auch waren, umso größer waren das Interesse und der Besucherandrang.

Vom nutzlosen Gehen

So auch zuletzt im Juni dieses Jahres. Sie hatten mit insgesamt 750.000, also mit gut 40.000 Besuchern pro Tag gerechnet. Zwei Tage vor Ende wurden bereits 1,2 Millionen Menschen gezählt. Sie kamen von überallher, um die „Floating Piers“, die schwimmenden Stege über den Iseo-See, hundert Kilometer östlich von Mailand gelegen, zu begehen, als ginge der biblische Traum der Menschheit in Erfüllung, wie Jesus über das dort 90 Meter tiefe Wasser zu wandeln. Was waren die Motive für dieses Projekt?

Ich bin in das Arbeiten ebenso verliebt wie in das Gehen. Ich ziehe die real physische, durch nichts ersetzbare Erfahrung allem Virtuellen vor. Jeanne-Claude und ich, wir hegten schon 1969 seit der Verhüllung des australischen Küstenstreifens den Wunsch, auf einem langen Steg über Wasser zu gehen. Zunächst dachten wir an einen schwimmenden Steg über dem Delta des Rio De La Plata nahe bei Buenos Aires. Viele unserer Projekte verstehen sich als eine Auseinandersetzung entweder mit der Flüssigkeit von Wasser oder mit der Festigkeit von Erde. In den 1970er Jahren stellten wir uns einen Steg aus Pantone und Linoleumboden vor, aber Pantone ist beweglich und hat keine feste Struktur. Glücklicherweise haben wir das Projekt damals nicht in Angriff genommen. Inzwischen ist die Technologie so weit, dass wir in der Lage sind, die Bewegung des Wassers in Materie zu übersetzen. Während unserer Jahre in Paris zwischen 1958 und 1964 stellten wir wiederholt in italienischen Städten wie Mailand, Turin, Venedig und Rom aus. Auf der Suche nach einer ruhigen Wasseroberfläche entdeckten wir auf einer dieser Italienreisen den malerischen Lago d`Iseo. Er schien für unser Projekt mit der großen Insel in seiner Mitte geradezu ideal. Wir malten uns aus, das Festland mit den Inseln zu verbinden, auf denen 2.000 Menschen in Dörfern leben, so dass deren Bewohner das Festland ohne Boote erreichen können. Der Ausgangspunkt unseres Projektes war, die Insel San Paolo mit der Insel Monte Isola und diese mit dem Festland zu verbinden. Die drei Kilometer langen Stege, die das ermöglichten, erstreckten sich bis in die Fußgängerzonen von Sulzano am Festlandufer und Peschiera Maraglio auf Monte Isola hinein. Dabei ist das Gehen etwas völlig Nutz- und Zielloses. Man geht weder, um Einkäufe zu erledigen, noch, um Freunde zu besuchen. Wenn man barfüßig über die Piers lief, so fühlte sich das an, als ginge man auf Wasser. Möglich wurde dies dank der Entwicklung des so intelligenten wie einfachen Systems eines extrudierten, mit einer riesigen Schraube verbundenen Cube durch einen kanadischen Ingenieur zu Beginn des Jahres 2000. Dieses ermöglicht die Errichtung eines buchstäblich schwebenden Piers. „The Floating Piers“ setzten sich aus 220.000 schwimmenden, mit safranfarbigen Stoffbahnen bespannten Polyethylen-Würfeln zusammen. Übrigens sind all unsere Projekte für eine bestimmte Jahreszeit gemacht, so waren die Tore im Central Park beispielsweise für die Winterzeit vorgesehen.

Im Zusammenhang mit „The Floating Piers“ erwähnten Sie Ihr Projekt in Australien. Was kam nach diesem?

Wir legten einen Zwischenstopp in Japan ein, weil unser Herausgeber an einem Buch über unsere Projekte arbeitete. Das Interesse in Japan an unserer Arbeit setzte 1969 ein. Doch erst 1986 begannen die Vorbereitungen von „The Umbrellas“. Weitere vier Jahre dauerte es bis zur Verankerung der Sockel, die dazu dienten, 1.340 blaue Schirme in Ibaraki und 1.760 gelbe in Kalifornien zu installieren. Die 80cm langen Anker mussten einer Zugkraftbelastung von 1500 kg standhalten. Um keine Naturschäden anzurichten, wurden sie mit Helikoptern transportiert. Über all die Jahre hatten wir neben den Projekten auch Ausstellungen in Galerien und Museen. Sowohl von diesen als auch von Sammlern wurden Entwurfszeichnungen unserer Projekte gekauft. Wenn jemand sagte, wie sehr er unsere Arbeiten liebt, pflegte Jeanne-Claude zu fragen: „Wie viele Originale von uns besitzen Sie denn?“ Denn nur über den Verkauf unserer Entwurfszeichnungen und früherer Werke, also mit eigenen Mitteln und ohne Investoren oder Fremdhilfe werden die kostspieligen Projekte finanziert. Wir haben uns nie von irgendwem abhängig gemacht und deshalb sowohl Spenden als auch öffentliche Zuschüsse abgelehnt. Dabei sind wir nicht reich.

Die Heilige namens Freiheit

Womit hängt zusammen, dass die Freiheit Ihnen so heilig ist?

Ich denke, mit meiner Herkunft aus einem kommunistischen Land. Ich tue alles für die Bewahrung meiner Freiheit und will keinen Millimeter davon abrücken. Deshalb bin ich gegen Auftragsarbeit. Jeanne-Claude und ich haben aufgrund unserer hohen Ansprüche viele Museumsausstellungen abgesagt und endlos viele Briefe geschrieben, weil etwas nicht unseren Vorstellungen gemäß ausgeführt wurde. Nach meinem Tod können Sie tun und machen, was immer sie wollen, aber vorher nicht.

Apropos Freiheit, spielt Jean-Paul Sartre, dessen Existentialismus in Paris damals en vogue war, für Sie eine Rolle?

Die Ankunft in Paris war aufregend. Der Algerienkrieg war vorbei und General De Gaulle zurück. Es war eine Metropole der Flüchtlinge, und ich wollte endlich machen können, was ich wollte. Genau das bedeutete für mich Freisein, und natürlich kannte ich Sartres Texte. Ich traf ihn aber nie persönlich. Wie viele sah ich ihn zusammen mit Simone de Beauvoir auf der Straße oder in Cafés. Er war eine Ikone. Ich las seine Bücher und alles von den Intellektuellen in den späten 50ern und hatte übrigens bereits in Genf angefangen, Französisch zu lesen.

Mir fällt auf, dass Ihrem Englisch hin und wieder ein paar Brocken Französisch beigemischt sind.

Ich spreche zwar sehr gut Französisch und ein bisschen Italienisch, aber es gibt Fach- oder technische Begriffe, die mir im Englischen, das ich auf der Straße lernte, eher geläufig sind. Ich hatte kein Geld und keine Möglichkeit, auf einer Schule Sprachen zu lernen.

Sie sprachen über den Aufwand und die Schwierigkeiten bei der Umsetzung Ihrer Ideen. Haben Sie eine gewisse Vorliebe für Langzeitprojekte?

Nein, ich bin kein Masochist. Aber gewisse Vorgänge lassen sich nicht beschleunigen. Der Kampf um Genehmigungen erfordert Zeit. Die Realisierung der „Gates“ beanspruchte 26, für den Weg bis zur Reichstagsverhüllung benötigten wir 24 Jahre. Es gibt den Fall, in dem wir ein abgesagtes Projekt nicht mehr mögen und es verwerfen. In anderen Fällen halten wir trotz eines klaren Neins daran fest, beispielsweise an den „Gates“, den Verhüllungen des „Reichstags“ und der „Pont Neuf“, in der Hoffnung, dass sich doch noch eine Lücke zur Realisierung auftut. Alle Projekte sind so verrückt wie nutzlos. Jeanne-Claude sagte immer: „Wir machen das alles für uns. Ob die anderen es mögen, ist zweitrangig.“ Diese Freiheit will ich mir nicht nehmen lassen. Deshalb gehe ich weder Kompromisse ein, noch lasse ich Änderungen zu. Das ist der einzige, für mich akzeptable Weg.

Sowohl bei „The Floating Piers“ als auch bei „Surrounded Islands“ dreht es sich um Inseln. Was hat es mit den umsäumten Inseln auf sich?

Die Idee dazu stammt von Jeanne-Claude. Sie war wirklich einzigartig, und ich vermisse sie unendlich. Ende 1974 machten wir das kleinere Projekt „Ocean Front“ in Newport, Rhode Island. Dort liegt ein Hafen in einer kleinen Bucht, und wir bedeckten 18 Tage lang eine Wasseroberfläche von 150.000 Quadratfuß mit einem schwimmenden weißen Stoffgewebe aus Polypropylen in Mondform. Zu unserer ersten Reise nach Florida kam es anlässlich einer Ausstellung mit einer Dokumentation unseres „Wrapped Coast“-Projekts in der University of Central Florida Art Gallery. Nie zuvor hatten wir eine so flache Landschaft gesehen. Mit Vollgas arbeiteten wir in den späten 70ern an den Projekten „Pont Neuf“ und „Reichstag“, doch nichts brachte uns weiter. Auf eine Absage folgte die nächste, und immer wieder mussten wir uns mit Komplikationen herumschlagen. Just in dem Augenblick, da wir fast resignierten, weil alles stagnierte, und wir dennoch gleichzeitig an unserem „Wrapped Walk Ways“-Projekt arbeiteten, lud uns 1980 unser Freund Jan van der Marck zu Vorträgen ein. Er war 1969 Direktor des von mir nach Vollendung des Projektes in Bern verhüllten Museums of Contemporary Art in Chicago und zudem Direktor einer kleinen Galerie in Miami. Eine Freundin, die über Architektur schrieb, fuhr schließlich mit uns unterwegs zur Biscayne Bay, einer Meeresbucht des Atlantischen Ozeans im Südosten des US-Bundesstaates Florida, kreuz und quer durch die Stadt und über die Brücken zu Miami Beach, um das Meer zu sehen. Unterwegs baten Jeanne-Claude und ich sie, die Brücke ein zweites Mal zu überqueren, weshalb sie dachte, wir wollten diese verhüllen. Doch wir hatten für ein mögliches Projekt nicht die Brücke, sondern die elf wunderschönen, kleinen, durch den Bau der elf Kilometer langen Kanäle für die großen Schiffslinien entstandenen Inseln im Auge. Diese wollten wir umsäumen.

Nach dem Rückblick auf einige Ihrer Projekte wüsste ich gerne mehr über die Grundidee Ihrer Kunst in jungen Jahren.

Die ersten Werke moderner Kunst sah ich, wie gesagt, im Museum in Prag, darunter hervorragende kubistische Werke von Picasso. Einfluss auf mein Kunstverständnis hatte damals alles, was neben einer ästhetischen auch eine bildhauerische Qualität hatte. Denn mir lag daran, Skulpturen zu machen. Doch alles dazu nötige Material war zu teuer. Auch aus diesem Grunde suchte ich nach anderen Materialien. Einige meiner frühen Objekte sind deshalb kleine Pakete. Andere Dinge wie ein Motorrad wurden mit Stoff umwickelt. Später, 1962, bei dem Rue-Visconti-Projekt in Paris benutzten Jeanne-Claude und ich Öltonnen. Was die traditionellen Materialen in der Kunst betrifft, so bedient sich der Maler gewisser Textilien wie Leinen, während der Bildhauer Holz, Marmor und Bronze, aber keine Textilien verwendet. Ein Vorbild für die Umwickelung von Dingen ist August Rodins „Balzac“-Denkmal. Zeigte der Bildhauer den Schriftsteller erst mit dickem Bauch, dürren Beinen und vielen Details, so verdeckte er die Gipsfigur schließlich mit einem gipsernen Gewand. Auf diese Weise verschleierte er alles anekdotisch Körperliche und hob dadurch deren wesentliche Merkmale hervor. Mit unseren Umwickelungen und Umhüllungen strebten wir genau dies an. Die viktorianischen Gebäude mit ihren Ornamenten wurden so verhüllt, dass die Proportionen des Gebäudes, die Fassade und die Türme viel markanter hervortraten. Dadurch, dass wir etwas bereits Existentes umhüllen, wird es zu etwas Anderem. Das Wesentliche an all unseren Projekten ist die Verkörperung einer visuellen Energie und einer so überraschenden wie enthusiastisch stimmenden Schönheit.

Wie die Aufführung eines Theaterstücks sind Ihre Projekte zeitlich begrenzt.

Was die Lösung von Problemen betrifft, haben die Projekte mehr mit Brücken-, Autobahn- oder Flughafenbau als mit Theater zu tun. Es gibt keine Wiederholung wie im Theater, wo eine Inszenierung wieder und wieder aufgeführt wird. Zudem ist ein Theater wie eine Galerie ein kontrollierter Raum. Wir hingegen leihen uns komplizierte, von Menschen benutzte, umfangreichen Nutzungsvorschriften unterliegende Räume. Alles dort Vorfindbare wird Teil unseres Kunstwerks. Weder haben wir die Politik im Bundestag noch die Ökologie an der Biscayne Bay geschaffen. All das existierte schon vorher. Der Großteil moderner Kunst beruht auf Illustrationen oder Repräsentation von etwas. Uns liegt daran, dass an unseren Projekten alles echt, nichts simuliert ist. Die zu laufenden Kilometer ebenso wie der wehende Wind, die sich bewegenden Wellen, die Hitze und die Kälte. Von alldem geht eine stimulierende Wirkung aus. Die Gefahren sind nicht fingiert wie beim Fernsehen oder auf der Bühne. Zwar kann man die Projekte filmen und fotografieren, aber weder das eine noch das andere vermitteln etwas vom dem so realen wie unvergesslichen Erleben. Unsere Projekte sind realer als alles andere. Kaum haben Sie Ihre Wohnung verlassen, laufen Sie über einen von jemandem geplanten Bürgersteig. Sie überqueren die Straße mit ihren von jemandem ausgedachten grünen oder roten Ampeln. Dass wir uns rund um die Uhr innerhalb eines vorgefertigten Umfeldes bewegen, ist den meisten Menschen nicht bewusst. Dadurch, dass wir diese Lebensräume für wenige Wochen anmieten, um ihnen unsere Vorstellungen einzuhauchen, steht uns innerhalb dieses Zeitraums alles dort Existierende zur Verfügung.

Obama vor Gericht

Wenn Sie von der Anmietung eines Terrains sprechen, so lautet wohl die erste Frage, wem gehört das Land, das Gewässer, die Insel?

Ja, fast 90 Prozent der 62 Kilometer, die wir für unser noch immer nicht realisiertes Projekt „Over The River“ anmieten wollen, gehören der Regierung in Washington. Die Amerikaner besitzen 20 Prozent der Oberfläche der Vereinigten Staaten. Es sind die Innenministerien, die den Besitz des Landes verwalten, wozu Landflächen, Wälder und Gewässer gehören. Anhand von Gesetzen regulieren sie die Landvermietung beispielsweise an Straßenbaufirmen, Bergwerk- und Ölgesellschaften und kümmern sich um die Abrechnungen. Deshalb richteten wir Briefe an das Innenministerium. Die Anträge, die den Nachweis erbringen müssen, dass die für die Nutzung der Land- oder Wasserfläche erforderlichen Anforderungen von uns erfüllt werden, lassen wir von darauf spezialisierten Gesellschaften ausarbeiten, bestehend aus Wissenschaftlern, Technikern und anderen Fachleuten. Für die Ausarbeitung des 2029-seitigen Antrags zum „Over The River“-Projekt benötigte das Expertenteam ein halbes Jahr. Das alleine verschlang bereits Eineinhalbmillionen Dollar. Danach beauftragten wir ein unabhängiges, für die Regierung tätiges Spezialisten-Team. Dessen Studie kostete uns zweieinhalb Millionen. Nach einem jahrelangen, komplizierten Genehmigungsverfahren, dem Environmental Impact Statement erhielten wir im November 2011 vom Innenministerium die Zusage zur Realisierung des Projektes auf der sich über 62 Quadratkilometer ausdehnenden, mit Städten, Dörfern, Fabriken und Brücken bebauten Fläche. Nicht nur Gutachten mussten erstellt, sondern auch die Bewohner des Tales überzeugt werden. Dazu ­fanden zig Treffen in Gemeindesälen statt, wo wir unser Projekt vorstellten und erklärten. Neben den unmittelbar Betroffenen waren auch die Sekretäre, Senatoren und die Kongressabgeordneten in Washington involviert. All diese Prozesse verdeutlichen den Unterschied zu üblichen Kunstwerken. Das Ganze ist so schwierig wie das Bewilligungsverfahren für die Verlegung einer Öl-Pipeline. Neben den Projektunterstützern gab es auch Gegner, die aus Furcht vor zu viel Lärm und Verkehr, Obama und das Innenministerium wegen der Erteilung der Genehmigung verklagten. Dessen Rechtmäßigkeit wird derzeit vom Obersten Gerichtshof überprüft.

Warum tun Sie sich das an?

Weil uns die Projekte am Herzen liegen. Das hohe finanzielle Risiko, das wir eingehen, und die Dimensionen der Realität machen die Arbeit an einem Projekt so aufregend. Jeanne-Claude sagte immer: „Es gibt keinen Grund, uns zu beschweren, denn wir schaffen uns unsere eigenen Probleme. Keiner hat uns dazu gezwungen.“ Das ist der Preis unserer Freiheit.

Werner Spies hebt in seinem Buch „Grenzverlegung der Utopie“ den utopischen Aspekt Ihrer Kunst hervor.

Unsere Projekte haben nichts mit Utopie zu tun, denn wir haben uns nie etwas in technischer wie finanzieller Hinsicht Unmögliches ausgedacht. Bei dem, was wir machen, handelt es sich um so einfache wie mechanische, von Menschenhand umsetzbare Projekte. Vieles wird jenseits des Ortes fabriziert, wo das Projekt realisiert wird. Das Ganze ist sehr nomadisch, wodurch eine zeitlich begrenzte Intensität aufgebaut wird. Die eigentliche Transformierung des Ortes geht recht schnell voran. Zu guter Letzt verschwindet alles für immer.

Ihre Arbeiten sind, wie Sie vorhin andeuteten, sehr nomadisch. Das spiegelt vielleicht etwas von Ihrer und der Persönlichkeit von Jeanne-Claude wider.

Ich bin amerikanischer Staatsbürger, aber ich fühle mich weder als Amerikaner noch als Franzose. Mehr als Teil dessen, was den Menschen im ausgehenden 20. und ausgehenden 21. Jahrhundert ausmacht. Dieses Gefühl des Deplatziert-Seins schätze ich sehr. Sämtliche Projekte beinhalten diese Dimension unseres Jahrhunderts.

Kein Denken an Tod

Der Filmemacher und Autor Jonas Mekas, dessen Ansichten den Ihrigen ähneln, resümiert, er könne, da er nicht mehr dorthin zurückkehren konnte, woher er stammt, überall sein.

Ich kenne Jonas sehr gut. Zwischen unserer Haltung besteht jedoch ein Unterschied. Weder kann noch möchte ich überall sein. Bei meiner Ankunft in Amerika sprach ich kein Wort Englisch. Ich lernte die Sprache durch Fernsehen und tägliche Praxis. Wenn ich sagte, wir seien in die Vereinigten Staaten emigriert, korrigierte Jeanne-Claude mich: Nein, wir sind nach Manhattan emigriert. In Paris hatte selbst, wer Französisch sprach, Schwierigkeiten. Man wurde allenfalls akzeptiert. In England war das nicht anders. Dort war man ein Ausländer. Der Charme von New York besteht wohl darin, dass die Mehrheit schlechtes Englisch spricht. Vermutlich blieben wir hier, weil wir uns aufgenommen fühlten.

Alles in allem ist die Kunst für Sie Ausdruck von Schönheit.

Da ich 81 Jahre alt bin, ist mir die Gesundheit das Allerwichtigste. Ich genieße meine Arbeit so stark, dass ich alles tue, um gesund zu bleiben. Ich lebe, um zu arbeiten. Leider starb Jeanne-Claude, ohne krank zu sein, innerhalb einer halben Stunde an einer Gehirnblutung. Wir hatten und ich habe auch nach ihrem Tod das Glück, vielen unterschiedlichen Menschen zu begegnen. Wir trafen Superreiche, japanische Bauern, Politiker, Cowboys, Industrielle, amerikanische Politiker, japanische und australische Regierungsbeamte. Eben Leute aus den unterschiedlichsten Schichten. Für Jeanne-Claude waren die Eröffnungen, auf denen man sich umarmte und küsste, wie Ferien. Aber Sie wollten wissen, was mir Schönheit bedeutet. Es klingt sehr banal, von der Stimulanz durch Schönheit zu sprechen. Diese ist nicht nur visuell, sondern auch physisch erfahr-, da berührbar.

Was ist aufgrund des Alters anders?

Im Juni wurde ich 81Jahre alt. Als wir noch jung waren, war es nicht relevant, wie viele Jahre wir für ein Projekt benötigten. Die Frage der noch verbleibenden Lebenszeit ist jetzt dringlicher. Würde die Umsetzung eines neuen Projektes neun Jahre dauern, wäre ich 90 Jahre alt. Was ich jetzt anvisiere, muss ich zu Ende bringen können, ehe ich zu alt bin. Meine größte Angst ist, mich nicht mehr bewegen zu können. Bis zum heutigen Tage steige ich 15 bis 20mal täglich 90 Treppenstufen hinauf. An den Tod denke ich nur, wenn ich krank bin. Ich würde gerne wie Jeanne-Claude sterben. Sie war so voller Energie und dynamisch, dass es für mich unvorstellbar war, sie sitzend in einem Rollstuhl zu sehen. Und auch ich möchte so nicht enden.

Übersetzt aus dem Englischen von Heike Bathge.
Weitere Informationen unter www.kunstforum.de zu Christo & Jean-Claude. Wichtige Erwähnungen in 48 Kunstforum-Artikeln, davon 1 Monografie, 2 Gespräche, 6 Ausstellungs­rezensionen, sowie 50 Abbildungen.
Biografie Christo und Jeanne-Claude

Christo und Jeanne-Claude, beide am 13. Juni 1935 geboren, er im bulgarischen Gabrovo, und sie in Casablanca. Christo studierte von 1953 bis 1956 an der Akademie der Künste in Sofia, während sich Jeanne-Claude nach ihrem Baccalauréat mit Auszeichnung in Latein und Philosophie 1952 bei der Air France zur Flugbegleiterin ausbilden ließ. 1961 begannen beide mit ihrem ersten gemeinsamen Projekt. Ein Jahr später heirateten sie. Jeanne-Claude starb am 18. November 2009 in New York City.

Realisierte Projekte (Auswahl) 1961 Gestapelte Ölfässer und Verhüllungen im Hafen, Kölner Hafen; 1962 Der Eiserne Vorhang, Mauer aus Ölfässern, Rue Visconti, Paris, 1961–1962; 1964 Ladenfronten, 1968 4. documenta, Kassel; 1968 Verhüllter Brunnen und Turm, Spoleto; Verhüllte Kunsthalle Bern, 1967–1968; 1969 Verhüllte Küste, Little Bay, Australien, 1968–1969; Verhülltes Museum of Contemporary Art, Chicago, 1968–1969; 1970 Verhülltes Denkmal für Leonardo da Vinci, Piazza della Scala, Mailand; 1972 Talvorhang, Grand Hogback, Rifle, Colorado, 1970–1972; 1972 Teilnahme an der documenta 5, Kassel; 1974 Meeresfront, Newport, Rhode Island; Verhüllte römische Stadtmauer, Rom, 1973–1974; 1976 Laufender Zaun, Sonoma und Marin Counties, Kalifornien, 1972–1976; 1977 documenta 6, Kassel; 1978 Verhüllte Parkwege, Loose Park, Kansas City, 1977–1978; 1983 Umsäumte Inseln, Biscayne Bay, Greater Miami, Florida, 1980–1983; 1985 Verhüllung Pont Neuf, Paris, 1975–1985; 1991 Die Schirme, Japan-USA, 1984–1991; 1995 Verhüllter Reichstag, Berlin, 1971–1995; 1999 Die Mauer, 13.000 Ölfässer, Gasometer Oberhausen, Oberhausen, 1998–1999; 2005 Die Tore, Central Park, New York City, 1979–2005; 2013 Großes Luftpaket, Gasometer Oberhausen, 2010–2013; 2016 Die schwimmenden Stege, Iseosee Italien, 2014–2016.

von Heinz-Norbert Jocks

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