Nach dem Koitus oder nach dem Tod?
Zur Begriffsverwirrung von „postdigital“, „Post-Internet“ und „Post-Media“
von Florian Cramer
Post-Internet
Als im April 2015 an der Universität der Künste Berlin ein öffentlicher Vortragsabend mit dem Titel „Post-digital […] sucks […]“ angekündigt wurde, meldeten sich im sozialen Netzwerk Facebook mehr als 1200 Besucher an. Gut 200 kamen, von denen ein knappes Drittel das Auditorium vorzeitig verließ, als es begriff, dass es in der Veranstaltung nicht um das boomende Kunstphänomen „Post-Internet“ ging.
Diese Verwechselungen sind typisch – und betreffen wahrscheinlich auch diese Ausgabe des „Kunstforum International“. Stehen „postdigital“ und „Post-Internet“ vielleicht für eine Frage, die Hito Steyerl 2013 stellte; ob nämlich das Internet tot sei?1 Viele derer, die Steyerl ohne Fragezeichen zitieren – das Internet ist tot, warum sich damit noch künstlerisch befassen – hatten von ihrem Text nur die Überschrift gelesen. Tatsächlich geht es Steyerl um die veränderte Zirkulation von Bildern und die Ausweitung des „Open Access“-Prinzips von digitalen Dateien auf „Wasser, Energie und Dom Pérignon-Champagner“. Fallen Künstler wie Trevor Paglen, Laura Poitras, Holly Herndon und Metahaven, die sich mit militärisch-geheimdienstlicher Netzüberwachung auseinandersetzen und mit den „Whistleblowern“ Edward Snowden und Chelsea Manning zusammenarbeiten, unter „postdigital“ oder „Post-Internet“? Oder ist „Post-Internet“ künstlerisches Pendant des Feuilletons der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, das mit schöner Regelmäßigkeit den Moloch Google zur Hölle wünscht? Stehen „postdigitale“, „Post-Internet“- und „Post-Media“-Künstler im Bund mit Radikalökologen, die angesichts Bevölkerungswachstum, Klimawandel und Finanzkrisen eine Infrastrukturapokalypse vorhersagen, der auch das Internet früher oder später zum Opfer fallen wird?2
Radikal-postdigitale Ausstiegs- und Verweigerungshaltungen praktizieren nur wenige Künstler: zum Beispiel der Brite Heath Bunting, der zur ersten Generation der…