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Monografie · von Paolo Bianchi · S. 176 - 187
Monografie , 2002

PAOLO BIANCHI
DAS DENKEN DES FOTOGRAFEN

ALEXANDER TIMTSCHENKOS AMBIVALENTE BILDERWELT

Fotografische Geste

Wenn der Kunstkritiker auf einen Fotografen trifft, der mit dem Finger auf dem Auslöser seines Apparats vor ihm steht und sein Objektiv auf den Eiffelturm in Las Vegas richtet, dann betrachtet der Kenner nicht den Turm, sondern die Geste des Zeigens. “Die Geste des Fotografierens ist eine Kunstform.” (Vilém Flusser)

Der Mann mit dem Apparat befindet sich nicht einfach in einer Situation, sondern reflektiert sie gleichzeitig und steht ihr mit kritischer Distanz gegenüber. Erst der mediologische Blick auf die Geste des Zeigens lässt die wahrgenommene Wirklichkeit als Inszenierung entdecken. Unsichtbare Codes des Sichtbaren tauchen auf, die jenseits der Bilder unseren Blick bestimmen. Denn anders als das Idol oder die Ikone, die Götzen oder einen Gott darstellen, verweist die heutige Fotografie auf nichts anderes mehr als auf sich selbst.

Ist das begrüßenswert? Soll die Kunst, die sich gegen Entfremdung verteidigt und autonom entwickelt hat, nun an Selbstgenügsamkeit sterben? Oder ist Selbstbeschränkung nötig, um in uns sowohl Affekt als auch Echo auszulösen?

Ein Bild zu denken bedeutet, Denken und Sprache auseinander zu halten, da das Bild anders zum Denken anregt als eine Kombination von Zeichen. Wenn es für den sinnlichen Eindruck einer Farbe keine verbale Entsprechung gibt, wird klar, dass wir in einer Welt fühlen und in einer anderen benennen, wie Proust bedauernd feststellte. Die Farbe ist dem Wort einen Takt voraus. Die Ausdruckskraft eines Bildes geht andere Wege als diejenige der Sprache. Zeigen kann nie Sprechen sein. Somit heißt der Satz “Ein Foto lesen zu…


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