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Magazin: Symposien & Kongresse · von Ingo Arend · S. 463 - 463
Magazin: Symposien & Kongresse , 1997

Ingo Arend
Die Himmelfahrt der Bilder

Auf der Suche nach dem neuen Blick.
Eine Tagung des Potsdamer Einstein-Forums

Errötet sie oder errötet sie nicht? Ist der jugendlich bebende Liebreiz der blonden Serviererin hinter der Bar in den Folies Bergères professionelle Freundlichkeit, Indifferenz, Schamgefühl oder amüsierte Langeweile? Seit Jahrzehnten bewegt die Kunstgeschichte das Bild, das Edouard Manet ein Jahr vor seinem Tod 1883 malte. Das Lächeln der Frau, die sich vor einem großen Spiegel in dem weltbekannten Vergnügungslokal auf eine Marmortheke stützt, ist nicht das einzige Rätsel, das Edouard Manets Bildtestament aufgibt. Warum spiegeln sich die Flaschen vor dem Mädchen falsch in dem großen Spiegel hinter ihr, der den menschengefüllten Salon reflektiert? Kommt der Mann in der rechten Bildhälfte real von der Seite oder spiegelt er denjenigen, der für den Bildbetrachter unsichtbar vor der Serviererin steht? Aber warum erscheint er dann rechts im falschen Winkel? Die Idee von der Präsenz des Abwesenden und von zwei unterschiedlichen Zeiten in einem Bild, mit der der französische Kunsthistoriker Thierry de Duve letztes Wochenende in Potsdam Manets Bilderrätsel lösen wollte, ist nur eine Interpretationsmöglichkeit. Eine schlüssige Antwort hat die Kunstgeschichte aber bis heute nicht gefunden.

Die Bilder lügen. Hartnäckig. Seit Jahrhunderten. Und nicht erst, seit sie digitalisiert sind. Aber wenn schon alle Kunsthistoriker der Welt die Frage nicht beantworten können, was auf einem Bild wirklich zu sehen ist und warum, kann man da erwarten, daß sie wissen, was das überhaupt ist – ein Bild? Auf den ersten Blick wirkte die Fragestellung der Tagung des Potsdamer Einstein-Forums, einer Art…



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