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Titel: 59. Biennale Venedig - Analyse · von Michael Hübl · S. 98 - 101
Titel: 59. Biennale Venedig - Analyse ,

Gärend Drachengift

Anmerkungen zum Leitslogan der 59. Biennale di Venezia
von Michael Hübl

Ein Motto wie aus einer Zeit, als das Wünschen noch geholfen hat. „Die Milch von Träumen“ beschwört die 59. Biennale di Venezia. Das klingt sanft, weich, ja erdenentrückt. „The Milk of Dreams“ ist der Titel eines Kinderbuchs von Leonora Carrington. Laut der einschlägigen Erklärungen wurde er als Leitmotiv gewählt, um der Grenzenlosigkeit von Phantasie und Imagination, dem freien, ungehemmten Strom von Gedanken, Bildern, Einfällen zu huldigen. Dabei hat der Slogan Ecken und Kanten wie die Kartons mit dem Molkereiprodukt in den Kühltheken der Supermärkte.

Milch als Zaubertrank der Kunst, als phantastisches Fluid, um sich und das Publikum in eine utopische bessere Welt zu beamen? In Zeiten verbreiteter Laktose-Intoleranz stimmt das Biennale-Motto stutzig. Wie viele Menschen, denen es am Enzym Laktase mangelt, halten es mit Graham Gouldman, sagen sich „No milk today“ und greifen zu Surrogaten aus Wasser und Hafer, Mandeln oder Soja.

Milch als Zaubertrank der Kunst, als phantastisches Fluid, um sich und das Publikum in eine utopische bessere Welt zu beamen?

Milch ist demnach als Metapher nicht ganz so unschuldig, sprich: unbelastet, wie ihr reines Weiß vielleicht nahelegt. Für manche ist Milch nichts als ein Ekelelixir. Dass sie für Trugbilder taugt, hat Wolfgang Laib demonstriert, als er 1975 seinen ersten „Milchstein“ konzipierte. Ein Trompe l’œil der besonderen Art. Denn was (sofern das Kunstwerk sachgerecht behandelt wird) wie die hochpolierte Oberfläche eines makellosweißen flachen Marmorquaders aussieht, ist Milch, ausgegossen in eine flächendeckend aus dem Stein herausgeschliffene Vertiefung.

Das Werk ist eine Probe auf…

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