Offene Kriegsspuren
Die Biennale di Venezia zwischen »Opera aperta« und smarter Militäroperation
von Michael Hübl
Der tiefe Einschnitt war, als die Biennale eröffnet wurde, fast schon wieder verdrängt. Kosovo? Erledigt. Venedig durfte sich wieder als mondäner Schauplatz, als Bummel- und Tummelareal zwischen Giardini und Giudecca geben. Hier ein Rio, dort ein Ristorante. Und allenthalben schimmert Geschichte. Jedes Bauwerk eine historische Quelle, umspült von den Wassern der Lagune. “Die größte Kloake des Traditionalismus”1 behaupteten die Futuristen. Ihnen kam die Stadt wie eine “mit Edelsteinen besetzte Sitzbadewanne für kosmopolitische Kurtisanen”2 vor, reif für den radikalen Umbau zu einem die Adria beherrschenden Industrie- und Militärkomplex.
Das war 1910. Damals wurde auch zum ersten Mal der Kalender der Biennale umgestellt. Seit der Gründung 1895 hatte man den Zweijahrestakt beibehalten – bis 1909, als übrigens Finnland, damals noch unter russischer Oberherrschaft, zum ersten Mal an der Repräsentationsschau teilnahm, die bis dato hauptsächlich von den Großmächten der Epoche beschickt worden war. Jetzt also erfolgte die Umstellung auf gerade Zahlen. Ursprünglich sollte sie verhindern, daß sich der nächste Termin mit einer Esposizione Internationale di Bella Arte überlappt, die für das Jahr 1911 in Rom geplant war, doch dann blieb die neue Regelung, abgesehen von zwei kriegsbedingten Unterbrechungen, bis 1990 bestehen3. Die nächste Biennale fand dann erst wieder 1993 statt, um zumindest vom Datum her rechtzeitig die Voraussetzungen für die großen Jubiläumsfeierlichkeiten zu schaffen, mit denen 100 Jahre Biennale zelebriert werden sollten. Einer neuerlichen Änderung, die eine Milleniums-Biennale zum Ziel gehabt hätte, widerstand man.
Die Jahrtausendwende ist gleichwohl präsent in dieser 48….