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Titel: Politik, Ethik, Kunst - I. Politische Kunst · von Larissa Kikol · S. 44 - 45
Titel: Politik, Ethik, Kunst - I. Politische Kunst , 2018

Politik, Ethik, Kunst
Kultureller Klimawandel – Strategien und Werkzeuge

herausgegeben von Larissa Kikol

Sei politisch! Setze ein Zeichen! Dieses Credo ist ein treibender Motor der gegenwärtigen Kunstproduktion. Politische und ethisch motivierte Kunst ist seit einigen Jahren (wieder) allgegenwärtig, durch Meinungen, Anteilnahme, das Aufzeigen von persönlichen und fremden Erfahrungen, Stimmvergaben, Symbole und durch ästhetische Protestaktionen. Die Welle an politischer Kunst löst große Euphorie aus – nicht nur in der medialen Berichterstattung, sondern auch in den Kunstinstitutionen, auf dem Kunstmarkt, im White Cube und auf öffentlichen Plätzen. Die einflussreichste Muße der zeitgenössischen Kunst heißt Politik. Darüber darf man sich einerseits freuen, zeigt es doch, dass Werte wie Künstlerfreiheit oder Demokratie gerade hoch im Kurs stehen. Die relevantesten Themen sind die Flüchtlingskrise, Rechtspopulismus, die EU, der Brexit und die politische Korrektheit von einzelnen Kunstwerken.

Andererseits ist „Politische Kunst“ ein dehnbarer Begriff, der gerne auch als Qualitätssiegel für ein gutes Gewissen oder für eine Imagekampagne eingesetzt wird. Aber nicht jedes politische Zeichen ist auch gleich ein gutes Kunstwerk. Nicht jede politische Botschaft kommt beim Rezipienten an. Und manchmal wird der Wille ein Kunstwerk zu erschaffen sogar zu einem Hindernis für ein erfolgreiches, ethisches Engagement. Vor der Omnipräsenz der politischen Kunst stellt sich schließlich die Frage: Kann politische Kunst überhaupt (noch) Menschen beeinflussen?

Dieses Band hat das Ziel, sich der großen Menge an politischen Kunstwerken differenziert zu nähern, neue Bewertungskategorien und Analyseansätze vorzuschlagen. Hierzu zählt auch eine kunstwissenschaftliche Perspektive, die praktischer gedacht wird: Werke sollen nicht nur nach ihrer vermeintlichen Botschaft, also auf ihrer theoretischen Metaebene, sondern nach ihrem realen Kommunikationspotential untersucht werden. Wichtig ist ebenfalls die Diskussion über ethische Konflikte, die aus einem Wiederstreit zwischen politischer, moralischer Korrektheit und Künstlerfreiheit und Provokation resultieren.

In „Nett geknebelt“ geht Larissa Kikol Kommunikationsschwächen nach, die auf ein Form-Inhalt-Problem der zeitgenössischen Kunst zurückführen. Sollen Werke mehr sein, als ein nettes Symbol für ein gutes Gewissen, brauchen sie eine kommunikative, mutige Multidimensionalität, wie etwa Christophs Schlingensiefs Aktion „Bitte liebt Österreich“.

Wolfgang Ullrich widmet sich in „Nachkunst“ der Homogenität kuratierter, politischer Kunst-Events und dem Werkbegriff in der aktuellen Symbolkunst. Bestärken Werksprachen, wie die von Ai Weiwei, tatsächlich die Empathie gegenüber Flüchtlingen oder lassen sie sich nicht auch für die Gegenseite auslegen?

Über das Dilemma der politischen und ethischen Korrektheit debattiert Hanno Rauterberg in „Kultureller Klimawandel“. Wenn Künstler sich immer mehr gesellschaftlichen Tabus unterordnen müssen, steht das Werkzeugrepertoire der Avantgarde wie die Provokation den rechten Gruppierungen exklusiv zur Verfügung.

In „Von Beruf unschuldig“ diskutiert Jörg Heiser verschiedene Schuldzuweisungen gegenüber einer so geschimpften Künstlerelite, der 68er Bewegung oder auch konkret gegen Dana Schutz und ihr Gemälde des getöteten Jungen Emmett Till.

Über Aktivismus, Donald Trump und die Arbeiterschicht spricht das US-amerikanische Kollektiv Indecline, welches sich stets zwischen Illegalität, Protest und Kunst bewegt. Der Regisseur Andres Veiel mahnt davor, politische-künstlerische Illustration nicht mit Aufklärung zu verwechseln. Er berichtet über Beuys als Vaterfigur in der RAF-Generation, über die deutsche Geschichte und Versuche der sozialen Plastik in Brandenburg.

Über Erfolge und Probleme seines sozialen Engagements reflektiert Ólafur Elíasson, wie bei seinen Green light-Workshops und Little Sun. Nach ihm besitze die Kunst eine soziale Kraft, die sich durch „Kulturwerkzeuge“ gesellschaftlich nutzen lässt. Den Begriff der Kulturwerkzeuge wendet Larissa Kikol in ihrem letzten Beitrag an und widmet sich künstlerisch, sozialen Projekten, die gerade dann gesellschaftliche Relevanz entfalten, wenn sie die Kunstwerksanforderungen loslassen.