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Titel: Das Magische I · von Sven Drühl · S. 102 - 135
Titel: Das Magische I , 2003

SVEN DRÜHL
Der Paranoia-Diskurs

Conspiracies, UFOs und Verschwörungsdenken

“Die wunderbare Sache an einer Konspirationstheorie ist, daß sie einem erlaubt, alles perfekt zu verstehen.” (Michael Barkun, Politologe)

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Was früher Magie, Satanismus, Spiritismus oder Okkultismus als soziale wie kulturelle Phänomene verhandelten, ersetzen heute – trotz starker Verbreitung von New-Age Gedankengut – die z.T. aberwitzigen Phantasmen der Konspirologen. Deren erste Funktion ist die Komplexitätsreduzierung, denn Verschwörungstheorien liefern meist äußerst einfache Welterklärungsmodelle. Wer sich in einer überkomplexen, ständig in Veränderung befindlichen Welt nicht mehr zurechtzufinden vermag, flüchtet sich gerne in eine Pseudorealität basierend auf weitgehend simplen Verschwörungsgrundmustern. In einem solchermaßen konstruierten gesellschaftlichen Raum ist immer klar definiert, wer Freund und wer Feind ist, so dass die stabilitätsversprechende Selbstverortung in der Gruppe der Anhänger einer Theorie und die daraus zu beziehende Haltung weitgehend unproblematisch werden. Es handelt sich hierbei um Systeme kollektiver Imagination, die Entlastung vom Realitätsdruck versprechen.1 In ihrer Struktur sind sie den tradierten Religions- und Glaubensgemeinschaften nicht unähnlich.

Der Mensch neigt anscheinend zum einfachen schwarz-weiß-konturierten Weltbild. Dies ist keineswegs vom Bildungsniveau, der Nationalität, dem Geschlecht, der Weltanschauung oder gar der politischen Überzeugung abhängig, schließlich finden sich unter den Anhängern modernen Verschwörungsdenkens Personen jeglicher Couleur: Akademiker verdächtigen genauso gerne und oft wie Arbeiter, Europäer wie Asiaten oder Amerikaner, Männer wie Frauen, Religiöse wie Areligiöse, Linke wie Rechte, Reaktionäre wie Fortschrittliche. Dieter Groh konstatiert, dass Verschwörungstheorien eine ständige Versuchung für uns alle darstellen, außerdem sei der Weg ins Verschwörungsdenken sehr viel leichter zu beschreiten als der umgekehrte.2

Die Geschichte lehrt uns, dass wenn ein Feindbild überholt ist, schnellstens ein…


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