ANNE VON DER HEIDEN
Schöne neue Welt?
Staat und Magie im Neuen Russland
Bild und MagieDas Prinzip der in unserer Kulturgeschichte zumeist den Praktiken der Fremden und nicht denen der eigenen Gesellschaft zugeschriebenen magischen Zeichenrelation ist es, Wesen und Erscheinung, Zeichen und Bezeichnetes in eins zu denken. Die Wirksamkeit von Magie und magischen Kräften kehrt das semiotische Prinzip der Vermitteltheit aller Zeichenprozesse um. Es handelt sich – denkt man nur an die ersten Vorstellungen von einer Art “afrikanischen Fetischismus”, der eigentlich eher mit dem christlichen Glauben der Entdecker und deren Spiegelreliquiaren zu tun hat, als mit einem Zauberwesen der Fremden selbst, – um eine monadische Zeichenrelation, auf die man hier sein Augenmerk richten sollte. Sie räumt – so scheint es – einer Drittheit keinen Raum ein, zumindest nicht im üblichen Sinne. Der alte antijüdische Vorwurf des Hostien- und Bilderfrevels beispielsweise, der besagt, Juden hätten ein Abbild des Gekreuzigten, beispielsweise ein Holzkreuz beschädigt und damit Jesus selbst verletzt, oder eine Hostie mit dem Messer oder einem anderen spitzen Werkzeug traktiert, und es sei dann Blut aus der Hostie geströmt, arbeitet mit genau dieser “fetischistischen Inversion”. Wenn die Juden die Hostie nach der Marterung in einen Kessel mit kochendem Wasser werfen, verwandele sich das Wasser zu Blut und die Hostie zu Fleisch. Oder die Hostie entschwebe, wobei ein Abbild des Gekreuzigten erscheine. Der Jude – das ist das interessante Moment des Antisemitismus – negiert die christliche Heilsvorstellung, ist aber gleichzeitig streng an sie gebunden. Er spiegelt ihre Mechanismen. Diese Spiegelung manifestiert sich in…
