Im Angesicht der Zeit
Ein Exkurs über Zeit, Existenz und Kunst
von Heinz-Norbert Jocks
“Wenn wir wüssten, dass es nur noch um hundert oder zweihundert Jahre ginge, gäbe das dem Ganzen noch einmal einen Pfiff. Nichts ist so günstig wie eine Katastrophe, um das Jahrtausend einzuleiten: sie erneuert die Zeit, wie ein Wasserfall das abgestorbene Wasser erneuert. Uns wird die Zeit fehlen, die reale Zeit. Wenn das Jahr 2000 nicht stattfindet, dann, weil die Zeit einfach verschwunden sein wird wie in gewissen Breitengraden der Winter. Das ist freilich nur ein Traum. Ich glaube, dass wir, um dorthin zu gelangen, nicht über genügend Reserven verfügen, dass die Enttäuschung des Jahres 1000 – nicht das Ende der Welt zu sein – sich im Jahr 2000 wiederholen wird.”
(Jean Baudrillard 1984 in “Cool Memories”)
Die Zeit klebt an uns so hautnah, dass wir uns nicht einmal vorzustellen vermögen, was sie ohne uns tut und jenseits von uns ist. Ja, wir manischen Daueruhrenträger reagieren wie Verwirrte oder geradezu panisch, sobald wir den Zeitmesser an unserem Handgelenk vermissen oder wenn die Zeiger ruckartig so stillstehen wie die Zeit in Giorgio de Chiricos augenscheinlich windstillen Gemälden. Urplötzlich erfahren wir, wie zeitabhängig wir sind. Was nun, wo wir nicht wissen, wie viel Uhr es ist, ob wir zu spät, zu früh sind oder noch so gerade eben in der Zeit liegen? Beruhigt haben wir uns erst, wenn unsere innere wieder im Gleichtakt mit der Bahnhofsuhr tickt und alles in alten Zeitbahnen verläuft, so dass wir wieder wie die anderen…