Reinhard Ermen
Peter Radelfinger
Das drängt sich vielleicht zuerst auf: Das einzelne Blatt ist (fast) nichts, die nachwachsenden Serien sind (fast) alles! Die schwer zu überschauenden Mengen, die im Lauf der Zeit in Peter Radelfingers Arbeit zusammenkommen, haben ihre eigene Dynamik. Drei seiner Reihen zeigt er 2009 im Kunstmuseum Bern: „Endlich komme ich in den Zwitscherraum“ ist mit 326 Blättern anwesend, „Kissen und Falten“ mit 1009 und „Joke“ gar mit 1162; und das sind zu diesem Zeitpunkt längst nicht alle. Matthias Frehner spricht bei dieser Gelegenheit respektvoll von den „Strichexzessen eines Peter Radelfinger“. Anlass zur Sorge besteht nicht, das exzessive Wachstum der Striche gehört zum System einer piktoralen Welterkundung, in der zum Beispiel Vögel als Figuranten einer durchaus natürlichen Freiheit ins Netz der Käfige und Formatierungen, der Bildschirme (die könnten sich bald zu einer eigenen Reihe auswachsen) und Gehäuse geraten. Das Zwitschern als kurzer kommunikativer und bedrohter Appell wurde begonnen, lange bevor vom „Twittern“ die Rede sein konnte. Jede dieser Pinselzeichnungen ist ein sarkastisches Statement, dessen Schlichtheit sich im Aufmarsch der wachsenden Reihe zu einer natürlichen Komplexität transzendiert. Das Einzelblatt ist dabei „Fragment einer bildnerischen Denkbewegung“, der „Vielzeichner“ ist gleichzeitig „Langstreckenläufer“ (Radelfinger über Radelfinger), die lange Zeit produziert ihren ausführlichen Lagebericht und wirft ihn als Überfülle in die Öffentlichkeit. Für „Joke“ lässt er surreale Bilderwitze aus den zwei dialogisierenden Farben eines Kugelschreibers wuchern. Hybride Zweisamkeiten sind nicht ausgeschlossen, erotische Momente lassen sich kaum vermeiden. Seit zehn Jahren zeichnet Radelfinger gelegentlich sein Kopfkissen, so wie er es am Morgen im Bett vorfindet,…