I. Experimentierfeld – Kritik – Krise
Quo Vadis Biennale – ein Rückblick und ein Plädoyer
von Sabine B. Vogel
I. Beginn
Als Venedigs Bürgermeister Ricardo Selvatico am 6. April 1894 „I. Esposizione Internationale d’Arte della Città di Venezia“ gründete, konnte er kaum ahnen, wie erfolgreich dieses Modell einer internationalen Leistungsschau der Kunst einmal wird. Seit damals wird die Idee dieser mehrjährlichen Ausstellung weitergetragen und immer neu variiert.
Biennalen, Triennalen, Quadriennalen1, ob in Bolivien, Haiti, Mali oder Uganda, sind gekennzeichnet von einer Struktur permanenter Veränderungen. Biennalen sind „agents of chance“, und darin liegt ihre große Faszination und bedeutende Stellung in einer globalen, mittlerweile gerne planetarisch genannten Kunstwelt. Denn Biennalen haben sich zum zentralen Format für Weltoffenheit, Vielfalt und Expansions freudigkeit entwickelt.
II. Gründungsmotivation
Biennalen sind keine fixen Modelle, sondern Kinder ihrer Zeit. Das trifft bereits auf die Biennale Venedig2 zu, die in einem Moment des aufblühenden Welthandels und eines wohlhabenden Großbürgertums entsteht. Europa ist im Umbruch, Monarchie und Fremdherrschaft werden abgelöst durch die Bildung von Nationalstaaten. Dazu bedarf es des Aufbaus nationaler Identitäten, wozu sich drei bis heute funktionierende Großveranstaltungen perfekt eignen: 1851 findet die erste ,Weltausstellung‘ in London als technische und handwerkliche Leistungsschau statt, 1894 werden die antiken Olympischen Spiele wieder eingeführt und 1895 eröffnet die erste Ausstellung.
Denn Biennalen sind ein Format permanenter Veränderungen. Nirgendwo sonst stehen die Tore derartig weit offen für kunstferne Kurator*innen, ein kunstfernes Publikum und einer sehr freien Idee von Kunst – kurz: auf Biennalen wird der Kunstbegriff enorm ausgeweitet.
Grundidee der drei Formate sind Völkerverständigung und zugleich Länderwettbewerb – Konzepte, die später…