JORGE MOLDER
Tod als radikale Gegenwart
EIN GESPRÄCH VON DORIS VON DRATHEN
Wer den Anderen auslöscht, löscht sich selbst aus”, schreibt der Kommissar Delfim Sardo zu der großen Serie von Nachtbildern des portugiesischen Künstlers Jorge Molder; in der Vorbereitung hatten sie CD, “Cartago Delete”, geheißen. Beinahe unmerklich, in einer Fiktion, die hart an der Realität entlanggeht, in einer Beiläufigkeit, die jeden Moment ins Drama umschlagen kann, in einer nüchternen Bildsprache, in der ein kleiner Schatten schon menetekelhaft Unheil zu künden scheint, unterlaufen diese Fotoarbeiten den unbefangen, eleganten Ton der diesjährigen Biennale-Pavillons und zeigen einen Abgrund, indem sie ihn aussparen. Die Serie Nox ist nur die Spitze eines Eisbergs im Werk eines Künstlers, der Philosophie studierte, bevor er sich der Welt der Bilder näherte; seine Bildsprache schreibt sich ein in eine Kultur zwischen der Traumwirklichkeit eines Pessoas und der verwunschenen Dingwelt eines mit Gombrowicz und Kantor untergegangenen Zentraleuropas und formuliert in dieser Mitte eine eigene radikale Gegenwart.
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Doris von Drathen: Es scheint, du gehörst zu den inzwischen selten gewordenen Künstlern, die in ihrer Arbeit Leiden und Drama formulieren.
Jorge Molder: Für mich ist es nicht so eindeutig, ob es sich um Leiden oder um Ratlosigkeit oder Bestürzung handelt. Das steht in engem Zusammenhang mit dem, was ich über künstlerisches Arbeiten grundsätzlich denke: Künstler denken anders, sie entwickeln keine Gedankenwelt, wie es Philosophen tun, sondern sie bewegen sich innerhalb einer materiellen Welt, sie denken sozusagen in einer konkreten Sprache, und was sie entwickeln, führt nicht zu einem Diskurs, sondern zu einer Beunruhigung. Das, was du in…