MICHEL FRIZOT
VERSUCH ÜBER EINE FOTOGRAFISCHE ANTHROPOLOGIE
EIN GESPRÄCH MIT HEINZ-NORBERT JOCKS
Michel Frizot, Mitglied des CNRS (Centre nationale de la recherche scientifique), Professor für Geschichte der Fotografie an der Ecole du Louvre, Lehrtätigkeit an der Université Paris IV-Sorbonne, versteht sich selbst nicht als Fotografiehistoriker, mehr als ein Theoretiker, der grundsätzliche Fragen zur Fotografie und ihrer Auswirkung auf den Menschen in einem historischen Kontext stellt.
Heinz-Norbert Jocks: Gibt es Gründe dafür, dass die Fotografie in Frankreich eine wichtigere Rolle als in Deutschland spielt?
Michel Frizot: Ja, sogar mehrere. Wenn man der Tatsache Rechnung trägt, dass das Französische weltweit die Sprache einer Minderheit ist, und wenn man dieses Faktum in Bezug zu den Menschen setzt, die französisch sprechen, so scheint es objektiv so zu sein, dass man in Frankreich, und dort vor allem in Paris, auch wenn sich das nicht unbedingt in der Zahl der veröffentlichten Bücher niederschlägt, der Fotografie weltweit die größte Aufmerksamkeit entgegenbringt. Bei uns gibt es also eine enorme Konzentration von Menschen und Orten, wo man mit Fotografie umgeht. Historisch hängt das mit der Annahme zusammen, die auch von gewissen Geschichtswerken bestätigt wird, Fotografie sei eine französische Erfindung. Nun möchte ich mich nicht unbedingt in den Streit einmischen, ob das wahr ist oder nicht. Es stimmt bis zu einem gewissen Grad, weshalb die Geschichte der Fotografie mit den Namen ihrer Erfinder Niépce oder Daguerre sowie mit den Namen historischer Fotografen wie Nadar verbunden ist. Dieses starke Bewusstsein von Frankreich als Ursprungsort der Fotografie finden Sie in keinem anderen Land, sogar in England…