Titel: Fiktion der Kunst der Fiktion · von Remigius Bunia
Titel: Fiktion der Kunst der Fiktion , 2010

Remigius Bunia
Was ist Fiktion?

Fiktion wird umgangssprachlich als Gegenbegriff zur Realität empfunden: fiktiv ist das, was an Literatur und Kunst nicht ‚echt‘, was also ‚falsch‘ oder ‚fantastisch‘ ist. Doch bei näherem Hinsehen erweisen sich solche Beschreibungen als zu einfach. Denn Fiktion ist nie ganz anders als Realität. Die Fiktion nimmt auf viele Dinge der Realität Bezug und verleibt sie sich ein: Tische, Stühle, Kutschen in der Fiktion entsprechen denen, die man aus der Realität kennt. Eine völlig anders­artige fiktive Welt wäre schlicht unbegreiflich, denn in ihr wären ja nicht einmal vertraute Farben, Formen und Töne wiederzufinden – nichts wäre zu identifizieren. Jedes noch so fantastische Kunstwerk erinnert also zumindest entfernt an die reale Welt. Fiktionale Texte beschreiben oft historische Orte, Ereignisse und Personen. Man kann beispielsweise zwischen erfundenen Malern in der Literatur auf der einen und realen auf der anderen Seite unterscheiden.

Und auch umgekehrt gilt: selbst wenn Kunst sehr fantastisch ist, enthält sie oft dasjenige Körnchen ‚Wahrheit‘, um dessentwillen sie auch gelesen wird. Die Trennung zwischen Wahrem und Falschem zerstiebt, wenn man an Romane denkt, die im Mantel der Fiktion die Realität kritisieren. So zielt George Orwells Roman 1984 (von 1949) auf die neue politische Weltordnung der späten 1940er Jahre – obwohl die darin beschriebenen Staaten Ozeanien, Eurasien und Ostasien nie existiert haben. Dass fiktionale Kunst regelmäßig von totalitären Staaten verboten wird, ist ein Indiz für ihre mögliche Wirkmacht auf die Realität. Italo Calvino schreibt in seinem Roman ‘Wenn ein Reisender in einer Winternacht’: „Niemand hegt heute eine so hohe…


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