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Titel: Report. Bilder aus der Wirklichkeit - IV. Interviews mit Künstler*innen · von Sabine Maria Schmidt · S. 146 - 153
Titel: Report. Bilder aus der Wirklichkeit - IV. Interviews mit Künstler*innen ,
Titel: Report. Bilder aus der Wirklichkeit - IV. Interviews mit Künstler*innen

Korpys / Löffler

Echokammer – Die mediale Inszenierung internationaler Politik
Ein Interview von Sabine Maria Schmidt

Das Künstlerduo Korpys / Löffler hinterfragt, wie Wirklichkeit in Medien produziert wird und wie sich institutionelle Staatsmacht inszeniert. Ihre Methode: Dinge beobachten, die randständig sind und scheinbar wenig Informationswert haben. Ursprünglich ausgehend von der Fotografie haben sie in ihrer Arbeit immer wieder neue Strategien der Bildproduktion und Bildlektüre entwickelt. Für ihren Film Echokammer, der während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg entstand, fokussierten sie sich nicht auf die Demonstrationen auf der Straße, sondern auf die staatliche Inszenierung des Ereignisses, die journalistischen Praktiken im Mediencenter, sowie die Repräsentationsformen der Staatsmächte am Rollfeld des Flughafens.

Sabine Maria Schmidt: Was war der Ansatz für Euren Film Echokammer im Vergleich zu früheren Arbeiten?

Andree Korpys / Markus Löffler: Echokammer ist die Fortführung eines Strangs unserer Arbeit, die begonnen hat mit der Untersuchung von repräsentativen politischen Ereignissen und der Protestkultur. Der Staatsbesuch von George W. Bush 2002 vor dem zweiten Irakkrieg, das Gipfeltreffen der G8 in Heiligendamm 2007, oder der Besuch von Barack Obama 2013 in Berlin waren Ereignisse, die wir uns angesehen haben. Unser Blick richtet sich dabei zumeist auf die Ränder des Geschehens, auf Nebensächlichkeiten, Banalitäten, auf Unbeachtetes oder alltägliches Handeln, das irrelevant zu sein scheint und wenig manipuliert wird. Bei Echokammer haben wir uns dann entschieden, die Seite zu wechseln und uns mit den Medienakteuren und ihren Arbeitsbedingungen im Medienzentrum oder an den Pools des G20-Treffens selbst zu beschäftigen.

Was bedeutet der Begriff Echokammer für Euch?

ML: Ursprünglich ist es ein Begriff aus der Tontechnik, um kontrollierte Hallräume im Tonstudio analog zu erzeugen. Ab 2011 wurde der Begriff dann auch in der Medientheorie (in Verbindung mit der „Filterblase“) verwendet und bezeichnet das Phänomen, dass Menschen dazu neigen, sich mit Gleichgesinnten zu umgeben und ihre gleichen Meinungen immer wieder zu reflektieren, ohne sie zu hinterfragen und quasi eine (Schleifen-)Feedbackschleife aus Reflexionen zu erzeugen.

Unser Blick richtet sich zumeist auf die Ränder des Geschehens, auf Nebensächlichkeiten, Banalitäten, auf Unbeachtetes oder alltägliches Handeln.

Welche Erfahrungen habt ihr bei der Akkreditierung für den G20-Gipfel gemacht. Es wurden ja damals explizit Journalisten ausgeschlossen. War das Procedere anders als früher?

AK: Wir akkreditieren uns immer als Künstler, nicht als Journalisten, und beschreiben im Vorfeld unser Vorhaben. Oftmals ist zusätzlich die Angabe eines Publikationsorgans notwendig. Mit der Akkreditierung betrat man das Medienzentrum in den Hamburger Messehallen. Zunächst die Sicherheitskontrollen ähnlich eines Check-in auf einem Flughafen, auf der rechten Seite saßen die Mitarbeiter des Bundespresseamtes und überprüften die Journalisten, auf der linken Seite saßen die Mitarbeiter des Bundeskriminalamtes und überprüften sonstige Mitarbeiter und Einlasssuchende, die Fragen aufwarfen. Nach der Eingangskontrolle kam man in das Innere der Messehalle, dort waren große Büroflächen, Sendeplätze, aufwendig dekorierte Bars und Buffets aufgebaut, am Ende der Halle befand sich die Poolstelle. Die wird vom Bundespresseamt organisiert und regelt den Zugang zu den einzelnen Ereignissen (Pools) des Gipfels. Jeder Tag ist in einzelne Ereignisse aufgeteilt. Zu diesen Pools hat je nur eine sehr kleine Gruppe von Medienvertretern Zugang (ca. 20–50 Personen). Meist wurde man nach einem erneuten Check im Bus zum Ereignisort polizeilich eskortiert.

ML: An diesem schmalen Grat bekommen zumeist nur noch Journalisten Einlass, die einer zentralen Medienanstalt zugehörig sind. Alle anderen bleiben im Medienzentrum und können dort den Live-Feed des Bundespresseamtes abnehmen. Dieser wird von den stationären Kameras eines TV-Senders zur Verfügung gestellt, damals der NDR. Das heißt, die meisten Journalisten sitzen während des gesamten G20-Gipfels an ihren Arbeitstischen im Medienzentrum, können dort kostenfrei an den Buffets essen oder sich in den Bars treffen, bekommen die Informationen des Bundespresseamtes und am Abend noch ein Veranstaltungsprogramm mit diversen künstlerischen Vorführungen. Alles was außerhalb des Medienzentrums auf den Straßen geschieht, oder selbst das Geschehen in den Sitzungssälen erleben sie nur als Medienkonsumenten, medial gefiltert.

Was habt ihr da erlebt? Was hat Euch besonders beeindruckt?

K / L: Im letzten Teil von Echokammer zeigen wir zwei Pressekonferenzen, die der deutschen Bundeskanzlerin und anschließend die des türkischen Staatspräsidenten. Die Staatsoberhäupter tragen dort ihr finales Statement vor, anschließend findet eine Fragerunde statt. In der deutschen Pressekonferenz warteten wir mit vielleicht 150 Journalisten auf den Auftritt der Kanzlerin. Profilaufnahmen sind untersagt, die Aufnahmeentfernung ist genauestens festgelegt. Der Pressesprecher Seibert hält die Liste der frageberechtigten Journalisten in der Hand. Durch eine unscheinbare Stahltür betritt die Kanzlerin den Raum. Während der Rede der Kanzlerin sind die Verschlüsse der Kameraobjektive immer dann zu hören, wenn Merkel eine Geste macht, damit dirigiert sie förmlich die Aufmerksamkeit der Bildjournalisten, und erzeugt ein Verschlusskonzert bei jeder ausholenden Geste. Danach dürfen die Journalisten auf Seiberts Liste Fragen stellen und am Ende kommt dann auch der Journalist „im roten Schlips“ zu Wort, der sich bitte selbst vorstellen soll.

Im Anschluss dann die laufende Pressekonferenz des türkischen Staatspräsidenten. Der Raum war nicht mal ein Viertel so groß wie der Pressesaal von Merkel, aber komplett gefüllt. Erdogan spricht an einem Stehpult, hinter ihm stehen etwa zwölf finster dreinblickende Männer mit Bärten und fixieren das Publikum vor ihnen. Zwei davon filmen jeden der Zuschauer! Als einer der Journalisten unaufgefordert Erdogan in einen Dialog zwingt, gestikulieren die bärtigen Wächter wild und fordern, dem Mann das Mikrofon zu entziehen. Es entsteht ein Tumult und Erdogan verlässt den Saal, geschützt durch eine Seitentür.

Ein immer wiederkehrendes Motiv im Film ist das sich im Bild spiegelnde Bild, was mich an den frühen Faß-binder-Film „Welt am Draht“ erinnert. Welche Bilder sucht oder besser findet ihr?

K / L: Es gibt da sozusagen das Milieu der Bilderproduzenten, die sich nicht gerne selber im Bild sehen wollen. Das interessiert uns: das Bild der Bilder macher und ihrer Redakteure, sowie das Bild der Umgebung, die von der jeweiligen Regierung für die Bildermacher konstruiert wurde. Dazu gehören die Tribünen am Flughafen, die Kleidung, Teppiche, Militärs, Fahrzeuge, die dekorierten Bars und Speisesäle für die Medienvertreter, die Technik, die sie zur Übermittlung nutzen. Wir fokussieren das gesamte geschaffene Environment der medialen Berichterstatter und ihrer Auftraggeber zur selektiven Übermittlung von Informationen und natürlich das Selektionsverfahren selbst nach dem die Informations brocken ausgewählt werden.

Was wissen wir über die Massenmedien und von wem wissen wir darüber?

Wer kommt überhaupt zu Wort, wenn die Medienmacher selber Konsumenten sind? Welche Art von Bildern wird dann auf so einem Gipfel generiert? Gibt es da ikonographische Typen, ich denke an die „Mer-kel-Raute“ oder die „Handschlag-Bilder“ von Donald Trump?

K / L: Es gibt eher die Unterscheidung in laufende und stehende Bilder. Für die Video- oder Filmkameraaufnahmen, dafür nutzen nahezu alle TV-Stationen einen Live-Feed, der meist von der lokalen Fernsehstation mittels stationärer Kameras geliefert wird. Zusätzliche externe TV-Kameras sind selten erlaubt, offiziell um den Ablauf nicht zu stören, aber gleichzeitig ist dadurch das TV- Signal kontrollierbar. Dann gibt es die Fotojournalisten, die das Bildmaterial für das Netz und die Printmedien produzieren. Das sind Allrounder, die machen Champions League genauso wie Militärparaden. Bei den Aufnahmen nutzen sie ein bestimmtes Bildfenster, das von den Redaktionen definierte Preise erzielt, daher sehen wir oft die immergleichen Portraits in den Printmedien. Meist männliche Bildreporter machen schnell das Foto vom Ereignis und schicken es via Laptop an die Redaktionen. Ein ikonographisches „Zerrbild“ hat übrigens Trump inszeniert, als er – vom Protokoll abweichend – die Gangway der Air Force One hinunterschritt und als erstem Menschen auf deutschem Boden seinem Yankee White– Offizier salutierte, der eben noch den „Nuclear Football“ in seiner Hand hielt (den Koffer mit den Startcodes für den Atomschlag). Dieser Offizier hält sich sonst immer dezent im Hintergrund. Kein Pressevertreter hat dieses Ereignis erwähnt, das allerdings fundamental die Haltung des US-Staatsoberhauptes widerspiegelt.

Am Ende brecht ihr Eure Bilder immer mit einem sehr besonderen Soundtrack; oft Zitate aus den kaum bekannten Schatzkammern zeitgenössischer oder elektronischer Musik. Was hört man bei „Echokammer“?

ML: Für Echokammer haben wir uns entschieden, weder Originaltöne noch Informationen über die Ereignisse, die im Film zu sehen sind zu verwenden, um den Bildern mehr Raum zu geben und deren Atmosphäre nur durch die Musik zu kommentieren. Bei musikalischer Umsetzung von digitalen Datenströmen stößt man schnell auf Ryoji Ikeda. Einen Gegenentwurf zum Digitalen bildet für uns Salvatore Sciarrino mit Shadow Of Sound. Dessen Reduktion, geräuschhafte Langsamkeit, mit großem Orchester aufwendig inszeniert, stellt einen wunderbaren Dialog zum beschleunigten Medienapparat dar. Passend zu den anlaufenden Rotorblättern der „Chinook-Hubschrauber“, die Trump vom Rollfeld ins Zentrum bringen sollten, hört man Kilian Schwoon’s Le poumon oxygène (Die Sauerstofflunge), eine Musik aus Zischlauten. Dann haben wir noch selbst Stücke generiert, indem wir den digitalen Code von Bildern änderten und transferierten.

Wie ist das Verhältnis von Presse und Macht aus Eurer Sicht? Welche Medien haben die meiste Macht?

AK: Symbiotisch, wie die Bezeichnung „Vierte Macht“ für die Presse schon suggeriert. Die Medienvertreter sind auf die Informationen aus der Politik und die Politik ist auf die Unterstützung der Medien bei der Verbreitung von Informationen angewiesen. Zu nennen wäre in diesem Zusammenhang der Tendenzschutzparagraph, die sogenannte ‚Innere Pressefreiheit‘, die besagt, „… dass der Verleger berechtigt ist, die politische Richtung der ihm gehörenden Medien zu bestimmen und seine Redakteure und freien Journalisten in einer Betriebsvereinbarung zu verpflichten, auf eine bestimmte Art und in einem bestimmten Stil Texte, Bilder und Filme in einer bestimmten politischen Sichtweise zu produzieren. Ein Recht von Redakteuren, journalistisch und inhaltlich vom Verleger unabhängig zu sein, besteht nicht.“

K / L: Und dann gibt es da noch die sogenannten „Hintergrundkreise“, Zusammenkünfte von Journalisten, Politikern und Lobbyisten: Der Berliner Presseclub, seit 1952 im Hotel Albrechtshof, die Gelbe Karte, 1971 von Sozialliberalen als Gegenstück zum konservativen Ruderklub gegründet. Der Provinzkreis, ein Zusammenschluss der regionalen Journalisten oder Das Wohnzimmer, das immer in wechselnden privaten Räumen stattfindet. Ein ganz entscheidender Faktor der journalistischen Arbeit ist der zeitliche und ökonomische Aufwand. Jede vom Mainstream abweichende Position muss äußerst aufwendig und präzise argumentieren, was einen erhöhten finanziellen und zeitlichen Aufwand nach sich zieht, den sich aber wiederum nur große Redaktionen leisten können. Große Printredaktionen existieren aber zum größten Teil von ihren Anzeigenkunden.

Niklas Luhmann äußerte 1996 einmal, alles was wir über unsere Gesellschaft und die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien? Stimmt das noch so?

K / L: Aber was wissen wir über die Massenmedien und von wem wissen wir darüber? Wir haben als Konsumenten eher wenig Einblick in das Mediengeschäft, letztendlich geht es auch hier um ein geheimes Wissen, ähnlich wie in der Politik. Es gibt da die Geheimschutzstelle des Deutschen Bundestages, sie bezeichnet eine Räumlichkeit im Marie-Elisabeth-Lüders-Haus in Berlin, in der fundamentale Dokumente der deutschen Politik als Verschlusssachen gelagert werden. Nur ein kleiner Kreis von Politikern hat hier Zugang. Unerlaubte Veröffentlichung würde mit mehrjähriger Gefängnisstrafe geahndet. Das heißt, Demokratie beruht auch immer auf Geheimwissen, das nur einer elitären Gruppe zugänglich ist, und nicht ausschließlich auf Mehrheitsentscheidungen, die durch freie Wahlen entstehen. Darüber zu sprechen wäre eigentlich die Aufgabe der freien Medien.

Euer Interesse ist es, Journalismus und Bildjournalismus zu verstehen und dadurch zu anderen Bildern zu kommen? Welchen Bildern kann man noch trauen?

K / L: Unser Interesse ist es, wie man so schön sagt „uns selbst ein Bild zu machen“ von wesentlichen, die Gesellschaft betreffenden Ereignissen, die nicht nur durch die Medien, sondern auch durch Akteure der Industrie und der Politik gehandhabt werden. Dabei geht es uns darum, Zugang zu Orten und Ereignissen zu bekommen, diese mit eigenen Augen und Ohren wahrzunehmen und das offizielle mediale Bild zu überschreiben.

Braucht es eine neue Theorie bzw. eine neue Art der Bildanalyse der dokumentarischen Bilder? Ihr unterrichtet selber Kunst und Fotografie, was ratet ihr den Student*innen?

K / L: Letztlich hat der Bildjournalismus immer von Zeitzeugenschaft gelebt, davon, dass Menschen sich vor Ort ein Bild von einer Situation gemacht haben. Künstler*innen haben traditionell die Möglichkeit, Zugang und Einblick zu nahezu allen Berufsfeldern und Handlungsorten zu bekommen, ohne dass dies vor Ort besondere Fragen aufwirft, da sie als Chronisten des Geschehens wahrgenommen werden, weniger als Kritiker. Diese Möglichkeit, sich ein Bild zu machen, ist nicht nur für die Künstler, sondern für alle Menschen außerordentlich wichtig, um Situationen zu erfassen, und ihre Zeit zu begreifen, sie zu beurteilen und danach handeln zu können. Dieses partizipative Handeln ist weniger theoretischer Natur, sondern basiert auf dem Willen und Mut zur Tat.

ANDREE KORPYS / MARKUS LÖFFLER

1966 / 1963 in Bremen geboren, leben und arbeiten in Berlin und Bremen Seit 2009 gemeinsame Forschung und Lehre an der Hochschule für Künste Bremen

EINZELAUSSTELLUNGEN (Auswahl)
2019 The Vault, West Den Haag; 2018 Personen Institutionen Objekte Sachen, Kunstverein Braunschweig, Hartware MedienKunstVerein Dortmund; 2017 Personen Institutionen Objekte Sachen, Kunsthalle Tübingen, 2016 Pool, Galerie Meyer Riegger Karlsruhe; 2015 Images of Surveillance, Goethe Institut New York

GRUPPENAUSSTELLUNGEN (Auswahl)
2019 Artist&Agents, Hartware MedienKunstVerein Dortmund; 2017 Luther und die Avantgarde, Lutherstadt Wittenberg, 2016 Zeichnungsräume II, Kunsthalle Hamburg, Hamburg; Unter Waffen. Fire & Forget 2, Museum Angewandete Kunst, Frankfurt am Main, L’image Volée, Fondazione Prada, Milano, Nervous Systems, Haus der Kulturen der Welt, Berlin, Berlin Biennale IX, Berlin; 2015 WHAT IS SOCIAL? Activity of the Ujazdowski Castle in Public Space (1988–2014), Warschau; Fire and Forget, Kunst-Werke Berlin; Et in Arcadia Ego, Museum Kurhaus Kleve; Global control and censorship, ZKM Karlsruhe; Disegno-Zeichenkunst für das 21. Jhdt., Staatliche Kunstsammlung Dresden; 2014 Kunst und Alchemie, Kunstpalast Düsseldorf (in Cooperation with Dieter Schmal), Smart New World, Kunsthalle Düsseldorf

von Sabine Maria Schmidt

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