Barbara Hofmann-Johnson
Eine Frage der Lesbarkeit
Interview von Sabine Maria Schmidt
Seit 2016 leitet Barbara Hofmann-Johnson das Museum für Photographie in Braunschweig. 2018 war sie Gastkuratorin der Ausstellung Bernd, Hilla and the Others – Photography from Düsseldorf am Huis Marseille – Museum for Photography, Amsterdam. Die Expertin für Fotografie studierte Kunstgeschichte, Germanistik, Theater- Film- und Fernsehwissenschaften, arbeitete vorab als freie Kuratorin, war 2003–2016 freie Mitarbeiterin für Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur in Köln und hat regelmäßig Lehraufträge inne.
Sabine Maria Schmidt: Welche Schwerpunkte setzen Sie für sich (ihr Programm) im Museum der Photographie in Braunschweig?
Barbara Hofmann-Johnson: Das Museum für Photographie Braunschweig zeigt vorrangig internationale zeitgenössische künstlerische Fotografie. Diese schließen unterschiedliche Bildsprachen, konzeptuelle Vorgehensweisen und Präsentationsformen bis hin zu medienübergreifenden Aspekten ein, bei denen es nicht nur um die Bildsprache des Dokumentarischen oder Konzepte der Dokumentarfotografie, sondern auch um künstlerische Ansätze geht, die Fragestellungen des Fotografischen und dessen wesenseigene Aspekte mit unterschiedlichen fotografischen Vorgehensweisen bis hin zu medienübergreifenden Raum-Installationen thematisieren. Ergänzend präsentiert das Museum regelmäßig Ausstellungen zum Sammlungsbestand, der Fotografie des 19. / 20. Jahrhunderts, und Nachlässe wie den von Käthe Buchler (1876–1930), Hans Steffens (1915–1994) oder Nikolaus Geyer (1968–2004). Zudem werden auch Projekte mit Studierenden und Absolvent*innen an Hochschulen wie der Hochschule für Bildende Künste Braunschweig gefördert und in Ausstellungsprojekten präsentiert. Hierzu zählt seit nunmehr 20 Jahren unter anderem die Präsentation der Dokumentarfotografie Förderpreise der Wüstenrot Stiftung, bei denen vier Hochschulabsolvent*innen ein Projektstipendium finanziert bekommen, das mit einer Ausstellungstournee und Publikation verbunden ist.
Wie haben sich Ansätze und Themenfelder der jungen Preisträger*innen- heute verändert?
Der Umgang mit Fotografie hat sich mehr und mehr vom referentiell abbildenden Einzelbild und von Bildserien, die an der Wand, im Buch oder als Projektion gezeigt wurden, zu medienübergreifenden, konzeptuellen Inszenierungen entwickelt. Die Präsentation im Raum wird heute sehr viel mehr mitbedacht. Interessant ist auch, dass das Dokumentarische selber erweitert begriffen wird. Es braucht heute nicht mehr zwingend sein Thema in Begebenheiten der äußeren Wirklichkeit zu finden, sondern kann auch auf Inszenierungen beruhen, die Theorien zu gesellschaftlichen Themen übersetzen. So realisierte Andrzej Steinbach aus seinem Interesse an soziokulturellen Prozessen, an Kultur und Geschichte 2016–2017 die Werkgruppe Gesellschaft beginnt mit drei, für die ein Essay von Ulrich Bröckling zum theoretischen Ausgangspunkt wurde. Autorenschaft wird mit Blick auf die aktuelle Entwicklung der Dokumentarfotografie auch nicht mehr nur an der eigenen fotografischen Aufnahme festgemacht, sondern kann auch eine konzeptuelle Auseinandersetzung mit Archivmaterial bedeuten. Hierfür ist die Arbeit Sunset von Jens Klein beispielhaft. Die Serie rekontextualisiert Schwarzweiß-Fotografien aus Sta-si-Akten, die Fluchtwege dokumentierten.
Was macht die Auseinandersetzung mit dokumentarischer Photographie für die „Digital Natives“ überhaupt noch reizvoll bzw. zeichnet diese aus?
Grundsätzlich geht es bei der dokumentarischen Photographie früher wie heute darum, die Wahrnehmung von Welt, und des Ichs in Beziehungen zu setzen. Die Generation der heute 25–35-Jährigen weiß um die Subjektivität des Blickes und Bildes und setzt das dokumentarische Bild nicht unbedingt mit universellen Ansprüchen, sondern subjektiv konzeptuell ein. Schriften von Vorgängern wie Allan Sekula (1951–2013), John Berger (1926–2017) und anderen werden da auch rezipiert.
Grundsätzlich geht es bei der dokumentarischen Photographie früher wie heute darum, die Wahrnehmung von Welt, und des Ichs in Beziehungen zu setzen.
Welche fotografischen Schulen fallen oder fielen ihnen in den letzten zwei Jahrzehnten auf, die sich mit „dokumentarischer“ Fotografie beschäftigen?
Da gibt es einige. Die dokumentarische Fotografie ist eine Bildsprache, die zum Kanon der Fotografie gehört. Sie wird als Möglichkeit sowohl in Kunstakademien als auch in Fachhochschulen und Ausbildungsstätten gelehrt, deren Ausbildungsziel die angewandten oder journalistischen Berufe sind. Mit der Lehre von Bernd Becher und auch Hilla Becher in Düsseldorf gab es seit den 1970er Jahren eine typologisch orientierte dokumentarische Tradition. Hier studierten beispielsweise Boris Becker oder Laurenz Berges, deren Arbeit im letzten Jahr am Museum für Photographie in Braunschweig in unterschiedlichen Ausstellungen gezeigt wurden. Aber auch die Hochschule für Grafik und Buchkunst in Leipzig oder die Folkwang Universität der Künste in Essen gehören zu den wichtigen „Schulen“ an denen die Dokumentarfotografie konzeptuell vermittelt wurde und wird. Die Ostkreuzschule in Berlin ist ein weiteres Beispiel für eine journalistisch orientierte Ausbildungsstätte.
Welche Bedeutung hat für Sie journalistische Fotografie heute?
Grundsätzlich eine ähnliche, wie sie schon immer für mich hatte: über Sachverhalte, Ereignisse, Zusammenhänge aus unterschiedlichen Bereichen zu informieren. Dabei schließt deren Betrachtung und Bewertung heute jedoch ein gesteigertes Bewusstsein für die ‚Filter’ und Relativität der vermittelten Informationen ein. Vor dem Hintergrund weltumspannender Konflikte und Entwicklungen, die über nationale Grenzen hinweg alle Menschen betreffen, stellt die journalistische Fotografie nach wie vor ein Informationsmedium dar und sollte unabhängig von politischen Systemen agieren können – was oft nicht der Fall ist. Denkt man an Themen wie politische Meinungsfreiheit, (Bürger) Kriege, Migration, Rassismus, Populismus, Epidemien und Pandemien wie die aktuell durch COVID-19 ausgelöste, oder die verstärkte Gewaltbereitschaft von Staatsorganen oder Individuen, so hat sich neben dem in den Medien verbreiteten Journalismus, der über diese Themen selektiv berichtet, vor allem der Bereich des „Bürger-Journalismus“ (Citizen Journalism) als Form eines partizipativen, von Privatpersonen über die Sozialen Netzwerke vermittelten Journalismus entwickelt. Bewegungen wie „Black Lives Matter“ oder auch „Fridays for Future“ werden in ihrer aktivistischen Bedeutung und Wirkungsmöglichkeit durch die Verbreitung von Bildern und Videos durch Privatpersonen in den Sozialen Medien unterstützt.
Kann man noch an klassisch-journalistische Bilder glauben und wenn ja, warum?
Jedes Bild hat unterschiedliche Deutungsebenen und Möglichkeiten, sinnstiftend zu wirken, kann Bezüge zu äußeren Geschehnissen und inneren Beweggründen vorstellen, die auch auf künstlerischsubjektiven Konstruktionen basieren können. Bilder erfüllen damit immer Wirklichkeiten und Wahrheiten. Die Frage ihrer Lesbarkeit bleibt dabei offen, das macht sie besonders interessant.