Kornelia von Berswordt-Wallrabe
Zu Phänomenen von Vielheit und Grenze
In dem Versuch, zu Phänomenen von Vielheit und Grenze zu handeln, sollen zuerst die beiden Begriffe – Vielheit und Grenze – im hier behandelten Zusammenhang näher bestimmt werden.
Vielheit bezieht sich in den hier auszuführenden Gedanken auf Arbeiten der bildenden Kunst, die unter dem Aspekt der Konstellationen im Werk nicht auf eine mögliche Zusammenschau, sondern auf das disparate Nebeneinander der in der Arbeit verwendeten Materialien, der Zugehörigkeit zu unterschiedlichen kategorialen Ebenen oder zu gänzlich anderen Werkzusammenhängen gehörig sind. Innerhalb einer Arbeit soll das Nebeneinander der Elemente, der Materialien und ihrer visuellen Gegebenheiten ausdrücklich als Nebeneinander gelesen werden. Die Teile sind in diesem Zusammenhang in bezug auf ihre Divergenz zu thematisieren. Das hat zur Folge, daß die einzelnen Teile einer Arbeit als diese Teile gewertet werden und damit ihren Dingzusammenhang, die ihnen eigenen Eigenschaften ganz in die Arbeit einbringen, ohne schon im Vorfeld der Betrachtung auf einen gemeinsamen Bedeutungszusammenhang verkürzt zu werden.
In der Philosophie hat Friedrich Nietzsche in der Frage nach Einheit gerade in diese Richtung weitergedacht, als er schrieb:
“Die Annahme des einen Subjekt ist vielleicht nicht notwendig; vielleicht ist es ebenso erlaubt, eine Vielheit von Subjekten anzunehmen, deren Zusammenspiel und Kraft unserem Denken und überhaupt unserem Bewußtsein zugrundeliegt… Meine Hypothese: Das Subjekt als Vielheit.”1
In der Kunst zu Beginn unseres Jahrhunderts sind solche Überlegungen an Bildern von Paul Cézanne und Pablo Picasso angestellt worden. Bei Cézanne findet sich dieser Aspekt im Spätwerk, in den “Badenden” von 1906. Picasso thematisiert solche Fragen 1907 in den…