Peter Weibel
Zur Perspektive als konstruktivem Prinzip
EINE GEOMETRIE DES IMAGINÄREN
Die Ursprünge der Perspektive sind bekanntlich im 15. Jahrhundert zu lokalisieren. Die traditionelle Optik bis zu diesem Zeitpunkt wurde die “perspectiva naturalis” genannt. Im Gegensatz zur neu auftretenden Perspektive der Maler, welche die “perspectiva artificialis” genannt wurde. Der Mathematiker Antonio di Tucci Manetti, ein Freund von Paolo Uccello, hat diesem die ersten Ansätze einer perspektivischen Konstruktion des Bildes beigebracht. Paolo war von der Entdeckung der Perspektive so begeistert, daß ihm der berühmte Satz zugeschrieben wird: “O che dolce cosa è questa prospettiva!” In der Architektur und Skulptur von Filippo Brunelleschi finden wir die ersten validen Produktionen der Perspektive.1 Brunelleschi hat sich für seine perspektivischen Konstruktionen übrigens eines Spiegels als Hilfsmittel bedient. Leone Battista Alberti hat in seiner Publikation “Trattato della pittura” (1434) die Konstruktion der Perspektive durch einen einzigen Fluchtpunkt demonstriert. Antonio Averlino detto il Filarète hat in seinem “Trattato di architettura” (1460-64) ebenfalls einen Beitrag zur Perspektivetheorie geleistet. Er nannte Brunelleschi den “subtilen Imitator von Dädalus”. Ihm folgten Piero della Francesca mit “De Prospectiva Pingendi” (um 1470), mit “Trattato d’Abaco” (über Rechenbretter) und Jean Pélerin, dit Viator, mit “De artificiali Perspectiva” (1505). Piero hat die Linearperspektive als die “legitime” Konstruktion für jede nur erdenkliche figurative Komposition angesehen. Er hat damit der Renaissance-Malerei den Weg der Räumlichkeit gewiesen. Im 15. Jahrhundert ist also die mathematische Perspektive aus Urbino, die künstliche Perspektive als rationale Konstruktion, als rationales Konstruktionsmittel für die Bildkomposition formuliert worden. Ein Diskurs in konstruktiven Ausdrücken hat angehoben. Eine logozentrische…