vorheriger
Artikel
nächster
Artikel
Monografie · von Dieter Buchhart · S. 307 - 318
Monografie , 2002

DIETER BUCHHART
ANN-SOFI SIDÉN

GRENZEN DES ALLTAGS

Am 27. 3. 1990 betrat gegen 19:50 eine nackte nur mit Schlamm bedeckte junge Frau die Stockholm Art Fair. Sie fragte Galeristen nach Qualitätskunst, die eine Reise in den Weltraum überdauern würde. Während ein Galerist der Frau helfen wollte, mehr Schlamm aufzutragen, drückte ein anderer seine Visitenkarte oberhalb ihrer Brust in den Schlamm. Monate zuvor wurde QM, die “Queen of Mud” (Schlammkönigin), erstmals in einem exklusiven Einkaufszentrum gesichtet, wo sie Parfüms ausprobierte. Die Verkäuferinnen waren verwirrt, irritiert, höflich zurückhaltend oder verweigerten die Kommunikation. Auf die freundliche Frage, warum sie so aussehe, meinte QM: “Es ist meine Art so zu reisen.”1

“Sie schienen nicht zu verstehen, und sprayten mir verwirrt Chanel No. 5 auf meine schlammige Hand,” erzählt Ann-Sofi Sidén. Die heute 39-jährige Künstlerin wurde nach fünf Minuten von Sicherheitsleuten aufgefordert, das Geschäft zu verlassen. Damals studierte sie an der Royal Academy of Art in Stockholm. In den Jahren zuvor hatte sie sich während ihres Studiums an der Hochschule der Künste Berlin zwischen 1986 bis 1988 mit Performances und Happenings beschäftigt und gegen Ende, beeindruckt von Joseph Beuys und dem grimassierenden Gesicht einer seiner Skulpturen, kreierte sie QM. Die “Queen of Mud” erinnert durch die Betonung ihrer Augenwülste, Verbreiterung von Nase und Mund-Lippenpartie, ihrem Verstummen in den auf die Performances folgenden Filmen an eine neolithische “Urfrau” und zugleich an eine starke Schlammringkämpferin. Sie ist vor und hinter der Kamera Projektionsraum und Projektion, “der letzte Markt für Gedanken”2.

In ihrer Maskerade, die Sidén in zahlreichen Videos und Filmen auflegte,…


Kostenfrei anmelden und weiterlesen:

  • 3 Artikel aus dem Archiv und regelmäßig viele weitere Artikel kostenfrei lesen
  • Den KUNSTFORUM-Newsletter erhalten: Artikelempfehlungen, wöchentlichen Kunstnachrichten, besonderen Angeboten uvm, jederzeit abbestellbar
  • Exklusive Merklisten-Funktion nutzen
  • dauerhaft kostenfrei