60. Venedig Biennale: Monografie
Preisträgerin des Goldenen Löwen für ihr Lebenswerk der Biennale in Venedig 2024
Anna Maria Maiolino
Tropischer Realismus
von Sabine Maria Schmidt
Migration und Exil, vor allem aber die Erfahrung von Fremdheit, sind die Leitthemen der diesjährigen Biennale Stranieri Ovunque. Und fast zu programmatisch passen auch die Preisträgerinnen des Goldenen Löwen in das Konzept. Die 1942 in Italien geborene Künstlerin Anna Maia Maiolino ist bereits als Kind mit ihrer Familie ausgewandert, zunächst nach Venezuela, später nach Brasilien, wo sie in Zeiten politischer Unruhen ihr Kunststudium verfolgte. In Südamerika ist sie einem breiten Publikum bekannt. In Deutschland ist sie höchst selten ausgestellt worden, so war sie im vergangenen Jahr in Berlin mit einer Performance präsent. Im Mai 2023 präsentierte sie über drei Tage lang die Performance Entrevidas, einen fragilen Eiertanz im wahrsten Sinne des Wortes. Ein Performer durchschritt dabei tänzerisch die Installation und bezog das Publikum dabei ein. Es ist eine ihrer Schlüsselarbeiten, die erstmals 1981 im öffentlichen Raum in Rio de Janeiro realisiert wurde. Auf einer Straße in der Innenstadt lagen hunderte von rohen Eiern, durch die Passanten aufgefordert waren, sich einen Weg zu bahnen. Damals herrschte in Brasilien noch immer eine Militärdiktatur, die sich 1964 an die Macht geputscht hatte und sich erst 1985 auflösen sollte. Momente und Gefühle von Unsicherheit, Fragilität und Bedrohung prägen Lebenserfahrung und Werk der Künstlerin, die nun auch in Europa in Zeiten politischer Gewalt, Hasskampagnen und neuer Kriege zunehmend spürbar werden.
Auf der dOCUMENTA (13) in Kassel inszenierte Maiolino 2012 ein kleines Gartenhaus in der…