Hinter jedem Traum lauert ein Albtraum
Die kollateralen Ausstellungen der 60. Biennale di Venezia zwischen Politik und Phantasy – eine Auswahl
von Michael Hübl
Gemütlich hat Yuan Goang-Ming seine Installation Dwelling eingerichtet. [01] Ein Sofa, neben dem eine Stehlampe orangewarmes Licht verstrahlt, lädt zum Verweilen ein und animiert, sich in ein Video zu vertiefen, dessen Setting ebenfalls Wohligkeit vermittelt. Auch dort: eine Stehlampe, dazu Bücherregal, Schaukelpferd, ein wuscheliger Teppich. Die Blätter einer Zimmerpalme bewegen sich manchmal leicht, die Seiten eines offen daliegenden Buchs fächern sich in slow motion auf, die Zeiger einer Uhr schleichen in leichtem Zeitraffer voran. Diese minimalen Bewegungsmomente befördern die allmähliche Entspannung, die beim Betrachten der Videoarbeit Platz greift. Wem das Geschnatter und Geflatter auf dem Marktplatz zu viel ist, wer im visuellen Overkill der Biennale ein paar Augenblicke des Innehaltens sucht, der ist hier, im Palazzo delle Prigioni, am rechten Platz. Bis es knallt, bis alles in die Luft fliegt, zerfetzt wird, zerstört. [02]
Yuan Goang-Ming ist in Taiwan geboren und hat dort die Nationale Kunstakademie absolviert, bevor er zu Post-Doc-Studien nach Frankfurt und Karlsruhe kam. Der Künstler, Jahrgang 1965, bezeichnet sich als „Kriegsflüchtling der zweiten Generation“.1
Den Hintergrund dieser Selbstcharakterisierung bilden Erzählungen des Vaters, der wie viele seiner Altersgenossen unter der Trennung von seiner Familie in Festlandchina litt – Folge des zwischen den Kommunisten unter Mao Zedong und den Anhängern der Kuomintang unter Chiang Kai-shek ausgefochtenen Bürgerkriegs, der bis in die Gegenwart nachwirkt. Der Anspruch der Volksrepublik China auf ‚Wiedervereinigung‘ mit Taiwan, das 1949 zum letzten Refugium der Nationalchinesen…