60. Venedig Biennale: Gespräche
Ausgezeichnet mit dem Goldenen Löwen für den besten Nationalen Beitrag
Archie Moore
Die Wiederkehr des gestohlenen Stammbaums
Heinz-Norbert Jocks: Warum ist der Pavillon drinnen geschwärzt?
Archie Moore: Es handelt sich um die Farbe einer Schultafel wie in einem alten Klassenzimmer. An den Wänden und der Decke des Pavillons siehst du einen handschriftlich verfassten Stammbaum, der 65.000 Jahre bis zu den Anfängen des Lebens der Aborigines auf dem australischen Kontinent zurückreicht. Er beginnt mit Mitgliedern meiner Familie, soweit sie aufgezeichnet sind. Vier Jahre lang forschte ich in Archiven nach meiner Familie, um die neuen Namen und Orte, auf die ich stieß, dem Stammbaum hinzuzufügen. Dabei verwende ich die Wörter, die Aborigines in abwertender Weise bezeichnen, und Beschreibungen von Namenlosen, wie schwarzer Mann oder schwarze Frau. Bei meinen Recherchen stieß ich auf Bewohner der Gegend meiner Ururgroßmutter, zudem auf assoziierte und indigene Namen und Verwandtschaftsbegriffe für die Beziehungen von Aborigines. In unserem Verwandtschaftssystem kann jemand viele Schwestern und Brüder und mehr als nur einen Vater und eine Mutter haben. Das Land selbst und alle dort Lebenden sind durch ein Verwandtschaftssystem verflochten. Dass der zur Decke steigende Baum schließlich verschwindet, erweckt den Eindruck eines Blicks in den Nachthimmel, wohin meine Landsleute glauben, nach ihrem Tod zu gehen. Dann brechen sie entweder zu einem Stern oder zu einem dunklen, wolkigen Fleck zwischen den Gestirnen auf. Das Volk der Kamilaroi, bekannt für seine enge Beziehung zur Astronomie, erzählte sich Geschichten über das Sternbild der Sieben Schwestern, dessen Geschichte der griechischen ähnelt.
Mitten im Pavillon…