Anpassung der Kunstnarrative
Die documenta muss auf die folgenreiche Neubewertung ihrer Anfangsjahre reagieren, die eine Tagung des Deutschen Historischen Museums in Berlin zu Tage förderte
von Ingo Arend
Versöhnung mit der Moderne. Ehrenrettung der „Entarteten Kunst“, Bekenntnis zur Abstraktion. So oder ähnlich lautet meist das Narrativ, wenn die Rede auf die Documenta kommt. Die 1955 in Kassel gegründete „Weltkunstschau“ gilt wie kaum ein anderes Ereignis als Ausweis der Läuterung der Deutschen nach dem 2. Weltkrieg und als Symbol des kulturellen Neuanfangs. Wenn nicht alles täuscht, läuft dieses Narrativ aus. Ausgerechnet auf einer kleinen, weithin unbeachteten Konferenz Mitte Oktober in Berlins Deutschem Historischem Museum (DHM) schälten sich die Umrisse einer Neubewertung des gloriosen Events heraus, deren Folgen noch nicht abzusehen sind. Demnach lässt sich, zumindest für die ersten Ausgaben der documenta, eher von einer Kontinuität zur NS-Zeit sprechen als von einem radikalen Bruch mit ihr.
„documenta. Geschichte / Kunst / Politik“ hieß der scheinbar unverdächtige Titel der Tagung. Gastgeber waren nicht etwa die Kulturstiftung des Bundes oder das Land Hessen (die die Schau finanzieren), die documenta selbst oder sonst eine ambitionierte Kunstinstitution, sondern Deutschlands wichtigstes Geschichtsmuseum. Mit der Konferenz wollte das DHM unter seinem neuen Direktor Raphael Gross die inhaltlichen Grundlagen für eine documenta-Ausstellung im nächsten Jahr legen. In ihr sollen die Wechselbeziehungen, die der Titel aufruft, untersucht werden – von der Verwandlung von Kunstwerken zu Dokumenten im Museum bis zur Rolle der documenta im Kalten Krieg.
Die Eröffnungsvorträge des indischen Filmemachers und vierfachen documenta-Teilnehmers Amar Kanwar oder von Nele Bode, Bildhauerin und Tochter des…