Liu Xiaodong
Auf dem Platz des Himmlischen Friedens
Ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks
Liu Xiaodong, 1963 in Jincheng, ist einer der herausragendsten Maler, der dem Realismus immer neue Bilder abverlangt, so nah an der Wahrheit wie nur eben möglich. In den frühen 1990 er Jahren gehörte er zur Gruppe des Zynischen Realismus, der die Verzweiflung nach dem Massaker zum Ausdruck bringen wollte. Er, der die Central Academy of fine Arts in Peking besuchte, ist dort heute selbst als Dozent tätig. Das Spektrum seiner Themen ist breitgefächert, und der Sinn für Menschlichkeit bis in die Nuancen spürbar. Heinz-Norbert Jocks traf sich mit ihm in Peking in seinem Atelier
H.-N.J.: Wie bist du aufgewachsen ?
L.X.: Ich wurde 1963 in einer kleinen, damals vielleicht 10.000 Einwohner zählenden Stadt namens Jincheng in Provinz Liaoning geboren, in der vor allem Fabrikanten mit ihren Familien lebten. Meine Eltern arbeiteten beide in einer von den Japanern gegründeten, später verstaatlichten und heute kurz vor ihrem Konkurs stehenden Fabrik. Zuhause, wo wir zu viert waren, – ich habe zwei ältere Brüder und eine ältere Schwester-, war ich der Jüngste, und erst im Alter von siebzehn Jahren, nach Bestehen meiner Aufnahmeprüfung für die Mittelschule der Academie of Fine Arts, verließ ich das Elternhaus. Übrigens war ich elf oder zwölf Jahre alt, als ich in der Schule zu zeichnen und zu malen anfing. Vor allem Propagandabilder. Kleine Illustrationen. Irgendwann verging mir die Lust dazu, und ich übte mich im Kampfsport. Doch da damit keine Hochschulprüfung zu machen war, fing ich in der Mittelschule wieder zu…