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Titel: Existenz am Limit · von Anja Osswald · S. 104 - 115
Titel: Existenz am Limit , 2009

Anja Osswald
Die nicht mehr schöne Natur

Ästhetik und Ökologie in der Moderne

Ökologie als neues Paradigma der Kunst?

Spätestens seit Joseph Beuys’ Aktion „7000 Eichen“ anlässlich der documenta 7 im Jahr 19821 hat der Begriff der Ökologie Einzug in die Kunst gehalten. Trotzdem führte er dort bis vor kurzem eher ein Nischendasein und wurde von den Promotern des Kunstmarkts mit einem durchaus skeptischen Lächeln bedacht. Die sogenannte Öko-Kunst hat immer einen Touch von Räucherstäbchen und selbst gestrickten Pullovern gehabt. Erst in jüngster Zeit erfährt der ökologische Aspekt dort eine immense Aufwertung. Im Zuge von Klimawandel und knapper werdenden Ressourcen bekommt die Auseinandersetzung mit einer ökologisch motivierten Ästhetik einen neuen Stellenwert. Nachhaltigkeit und Verantwortung sind Begriffe, die zunehmend auch künstlerische Debatten prägen; das Thema Ökologie erhält Glamourfaktor, ebenso wie Green Design, Slow Food und der ganze „Lifestyle of Health and Sustainability“ (LOHAS).

Doch was ist „Ökologie“? Und was genau meint eine ökologische Ästhetik? Die erste Definition des Begriffs Ökologie hat 1866 der Biologe Ernst Haeckel vorgelegt: „Unter Oecologie verstehen wir die gesamte Wissenschaft von den Beziehungen des Organismus zur umgebenden Außenwelt, wohin wir im weiteren Sinne alle ‚Existenz-Bedingungen‘ rechnen können.“2 Wenn man mit Haeckel die Ökologie im Sinne einer Haushaltslehre definiert, die sich mit den Wechselwirkungen zwischen unterschiedlichen Systemen und ihren biologischen bzw. gesellschaftlichen Bedingungen befasst, dann kann man sagen, dass Kunst immer schon ökologisch ist, insofern sie die Beziehungen zwischen Mensch und seiner Umwelt thematisiert. Jedes Landschaftsgemälde, jede Naturlyrik gibt Auskunft über einen Begriff von Natur in einer je historisch definierten Gesellschaft. Mehr noch, ein Kunstwerk bestimmt auf der Basis eines vorherrschenden Kunstbegriffs, was wir als Natur zu sehen und anzuerkennen bereit und in der Lage sind. In dieser Perspektive sind Kultur und Natur lediglich zwei Seiten einer Medaille.

Doch lange Zeit war diese Beziehung eine, die auf angenommenen Gegensätzen basierte. Seit der griechischen Aufklärung wurde Natur in Abgrenzung zu dem definiert, was durch Arbeit und Vergesellschaftung gestaltet wurde. In der klassischen Ästhetik spielte die Natur lediglich eine Rolle als Vor- oder Gegenbild künstlerischen Schaffens; Bedeutung erhielt sie immer nur und ausschließlich in Relation zu ihrem „Anderen“, der Kultur. Sie galt als Objekt wissenschaftlicher Erkenntnis oder des „interesselosen Wohlgefallens“ (Kant) in der ästhetischen Betrachtung. Selbst dort, wo Kunst als Naturnachahmung verstanden wurde, waren die Bereiche Kultur und Natur streng kategorial getrennt. Kunst verdankte sich Menschenhand, Natur war das, was einfach da war, was „da draußen“, außerhalb der Stadt, jenseits der Zivilisation und vor aller Technik lag.

In seiner 1989 erschienenen Studie „Für eine ökologische Naturästhetik“ nimmt Gernot Böhme diesen Dualismus zum Ausgangspunkt für die Formulierung einer „erweiterten Ökologie“. 3 In Abgrenzung zu einem neuzeitlichen Bild der Natur als Objekt wissenschaftlicher Erkenntnis plädiert der Autor für eine Ästhetik, die Natur zur leiblichen Existenz des Menschen ins Verhältnis setzt. Gefordert wird eine Aufhebung des entfremdeten Verhältnisses zur Natur, das für die bürgerliche Ästhetik bis hin zu Adorno prägend gewesen ist und gegen das schon Marx antrat, als er sein Programm einer Humanisierung der Natur formulierte und Natur als „anorganischen Leib“ des Menschen charakterisierte.4 In diesem Verständnis bedeutet Natur nicht mehr das dem Menschen Gegenüberstehende, vielmehr erscheint der Mensch aufgrund seiner Leiblichkeit als Teil der Natur.

Die Betonung der Leiblichkeit des Menschen, sein Gebundensein an und seine Anhängigkeit von Natur gewinnt vor dem Hintergrund der zunehmend ins allgemeine Bewusstsein dringenden ökologischen Fragen besondere Bedeutung: „Die Grundfrage jeder Naturphilosophie ‚Was ist Natur?’ ist heute durch das sogenannte Umweltproblem motiviert, d. h. dadurch, dass der Mensch sich wieder dessen bewusst geworden ist, dass er selbst unausweichlich Natur ist und in und mit der Natur leben muss.“5 Die Dringlichkeit, mit der Böhme die Gestaltung einer humanen Umwelt als vordringliche Aufgabe einer neuen, ökologischen Ästhetik fordert, ist von aktuellen Erfahrungen geprägt. Seine Untersuchung erschien drei Jahre nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, und obwohl der Autor nie direkt auf den Vorfall Bezug nimmt, kann davon ausgegangen werden, dass dieser ökologische Super-Gau den wesentlichen Anstoß zur Formulierung seiner Ästhetik gab, deren Dreh- und Angelpunkt die Erfahrung einer kreatürlichen und in Abhängigkeit zur Natur stehenden Existenz des Menschen bildet.

Böhmes ökologische Naturästhetik ist vor allem ein Appell an die zeitgenössische Kunst. Doch das darin formulierte Aufgabenprofil ist nicht neu. Denn die Rückbesinnung auf Natur als Garant für die Schaffung sinnlicher Erfahrungsräume stellt seit dem Beginn der ästhetischen Moderne ein wiederkehrendes Motiv in den künstlerischen Avantgarden und vor allem in den sogenannten angewandten Künsten dar. Welche gesellschaftlichen Dynamiken dabei eine Rolle spielen und inwiefern die Wahrnehmung einer ästhetisch aufbereiteten Natur einen Beitrag zur Gestaltung einer humaneren Umwelt leisten kann und/oder soll, wird in den folgenden Abschnitten skizziert.

Die Sehnsucht nach Ursprünglichkeit: Naturalismus und die Folgen

Im 19. Jahrhundert wurde die Kluft zwischen Natur und Kultur, zwischen einem als „ursprünglich“ angenommenen Naturzustand und einem vergesellschafteten Sein immer größer. Die Industrialisierung ging einher mit einer wachsenden zivilisatorischen Bedeutung von Technik. Die alltäglichen Abläufe wurden mechanisiert, das Leben in einen von Maschinen und Apparaten bestimmten Takt eingespannt. Natur war mehr denn je eine Sache des „Außen“, ein fremd gewordenes Terrain, das, je ferner es rückte, desto mehr Erfüllung versprach. Auf diesen „Prozess der Zivilisation“ 6 mit all seinen gesellschaftlichen und mentalen Verwerfungen reagierte in den 1830er Jahren eine Gruppe von jungen Malern in Frankreich mit dem Ausstieg aus gesellschaftlichen Konventionen und Abhängigkeiten. Raus aus der Stadt, rein in die Natur lautete die Devise, mit der sich die Begründer der Schule von Barbizon außerhalb von Paris in dem kleinen Dorf Barbizon im Wald von Fontainebleau niederließen. Angeregt von der zeitgenössischen Landschaftsmalerei John Constables und William Turners sowie von den niederländischen Landschaftsmalern des 17. Jahrhunderts, propagierten die jungen Stadtflüchter um Théodore Rousseau eine Malerei „plein air“, unter freiem Himmel, was nicht nur eine Abkehr von den damals geltenden Akademiekonventionen beinhaltete, sondern auch als Auflehnung gegen eine bestimmte zivilisatorische Ausprägung des Menschseins zu verstehen war. Natur avancierte zum Garanten für Ursprünglichkeit; sie wurde zum Sinnbild eines Lebensstils, der sich von den Reglementierungen eines am mechanischen Takt der Technik orientierten Daseins befreit hat. In den Gemälden von Rousseau verbindet sich die Naturbetrachtung häufig mit einer Darstellung bäuerlicher Verhältnisse, wodurch die vorindustrielle Daseinsform gleichgesetzt wird mit einer nicht-entfremdeten, gewissermaßen unschuldigen Existenz. Ähnlich verhält es sich bei Jean-François Millet. Auch er stilisiert die Natur zum Sehnsuchtsort und lädt ihn zusätzlich mit religiös-moralischem Pathos auf.

Der Impressionismus knüpft da an, wo die Schule von Barbizon aufhört. Hier gewinnt das Studium der Natur Bedeutung im Sinne einer Schule der Wahrnehmung. Was zählt ist nicht das Authentische einer wie auch immer definierten Natur, sondern der Eindruck – die Impression – welche die Welt der sichtbaren Erscheinungen produziert. Das kann auch durchaus die Stadt sein, der Eindruck des Morgennebels über einer Kirche, die temporäre Farbigkeit einer Straßenszene oder der Blick auf einen Hafen, wie in Claude Monets 1873 entstandenem Gemälde „Impression: Sonnenaufgang“ dem die besagte Kunstströmung ihren Namen verdankt. Die Aufgabe des Malers besteht darin, die flüchtigen Momente der Sichtbarkeit in ihren je spezifischen Stimmungen zu visualisieren. Das so entstehende Bild materialisiert eine plötzlich aufscheinende und sogleich wieder vergehende, oft durch einen bestimmten Lichteinfall hervorgerufene plastische Qualität. Die Gegenstände scheinen sich in ihre Zustände aufzulösen, als ginge es darum, dem Sein ein Werden zu entreißen.

Diese Dynamisierung des Lebensgefühls ist eine Folge der Technisierung des Alltags im 19. Jahrhundert – und zugleich eine Antwort darauf. Denn der Impressionismus kann als Versuch gewertet werden, der Beschleunigung des Alltags ein anderes, selbstbestimmtes Konzept von Zeitlichkeit und Dynamik gegenüberzustellen. Den philosophischen Überbau hierzu lieferte Henri Bergson. Seine wirkungsästhetischen Untersuchungen zur Zeiterfahrung antworteten auf die Atomisierung des Lebens mit einem Konzept der Dauer.7 Die bewusste Wahrnehmung der Dauer (la durée) gilt Bergson als Schlüssel zu einer Wirklichkeitserfahrung, die sich von schematischen Denkvorstellungen löst, um stattdessen zu einer intuitiven Erfassung der Dinge zu gelangen. An die Stelle eines abstrakten und technisch gegliederten Uhrentakts tritt die Erfahrung einer erlebten Zeit, welche die umgebenden Erscheinungen als ununterbrochene Folge von Werden und Vergehen sichtbar macht. Hier klingt an, was Böhme im Kontext seiner ökologischen Naturästhetik als Erzeugung von „Atmosphären“ beschreibt.8 Der Sinn eines Kunstwerks erschließt sich demnach nicht in einer außerhalb liegenden Bedeutung, sondern in dem, was es präsent zu machen vermag. Im Impressionismus ist dies die Erfahrung von Zeit, die im Kunstwerk atmosphärisch angelegt auf den Betrachter gleichsam abstrahlt und auf diese Weise eine Verbindung zwischen Wahrnehmung und Wahrgenommenem herstellt.

Hand und Werk: Die angewandten Künste

Abgesehen vom Impressionismus und der zuvor skizzierten romantischen Naturbegeisterung im Naturalismus ging die Entwicklung der ästhetischen Moderne eher mit einer Entwertung von Natur einher. Das Thema der modernen Avantgardebewegungen war vor allem die Huldigung der Technik und die Beherrschung der Natur – man denke an den Futurismus oder auch an die Zelebrierung der Dekadenz des großstädtischen Lebensstils in den Gemälden von Ernst Ludwig Kirchner oder auch bei Vertretern der Neuen Sachlichkeit etwa Christian Schad oder Otto Dix.

So waren es interessanterweise eher die nicht dem Autonomiediktat unterworfenen angewandten Künste, die den gesellschaftlichen Auftrag zu einer humaneren Gestaltung der Umwelt annahmen. Die Arts & Crafts-Bewegung wendet sich um die Jahrhundertwende ab von industriellen Produktionsmethoden zugunsten der Favorisierung der Handarbeit. Das Handgemachte war Synonym für das Wahre und Authentische und galt als Heilmittel gegen die Verfallssyndrome der englischen Gesellschaft. Der Rekurs auf manufakturelle Fertigungsmethoden war dabei jedoch nicht nur als Kritik am industriellen Fortschritt und seiner De-Sensibilisierung gemeint. Propagiert wurde damit auch ein veränderter Begriff von Arbeit. Das wird insbesondere in den sozialreformerischen Schriften von John Ruskin deutlich, der als einer der Vordenker der Arts & Crafts Bewegung gelten kann.

„Wir haben seit kurzem gründlich die große Erfindung der Zivilisation, die Arbeitsteilung, studiert und sehr vervollkommnet. Nur geben wir ihr einen falschen Namen. In Wahrheit wird nicht die Arbeit, sondern der Mensch geteilt: Geteilt in viele Menschensegmente.“ 9 Ruskins Plädoyer für eine nicht-entfremdete Form der Arbeit richtet sich gegen die Vorstellung vom Mensch als Maschine und der Fragmentierung von Arbeit im fordistischen Produktionsprozess. Das Handwerkliche sollte dem Abhilfe verschaffen, indem es wieder eine direkte Verbindung zwischen Hand und Werk herstellte und auf diese Weise Arbeit als eine Form der Naturbeziehung redefinierte.

Die Gartenstadtbewegung entwickelt diese sozialreformerischen Ansätze im Kontext städtebaulicher Überlegungen weiter. Auf das Verschwinden der Natur aus den modernen Großstädten kontert sie mit dem Ideal eines urbanen Raumes, in dem sich städtische Errungenschaften mit den Annehmlichkeiten einer halbländlichen Gemeinde verbinden. Das zeigt sich deutlich in den Entwürfen von Ebenezer Howard, dessen 1902 erschienene Studie „Garden Cities of To-Morrow“ die Idee der Gartenstadt begründet. Howard sieht die Stadt der Zukunft als Netz von Gartenstädten, die um ein Zentrum gelagert sind und jeweils von einem Gürtel landwirtschaftlicher Flächen umgeben sein sollten. Das Konzept einer „Stadt in der Natur“ ist einerseits motiviert durch das rapide Städtewachstum, das zwangsläufig eine Ausweitung des urbanen in den ruralen Raum mit sich brachte. Es entspringt aber auch der Forderung nach einer Lebensform, in der die ökonomischen und ökologischen, die psychischen und physischen Aspekte des Menschseins gleichermaßen Berücksichtung finden.

Im 20. Jahrhundert wird dann das Prinzip der Gartenstadt geradezu zur Doktrin moderner Stadtplanung. Allerdings unter veränderten Vorzeichen. In den Architekturvisionen von LeCorbusier oder, nach dem Zweiten Weltkrieg, von den Gruppen Archigram oder Superstudio spielt zwar die Integration von Landschaft in den Stadtraum eine durchaus nicht unwichtige Rolle, jedoch wird Natur einer den Bedingungen von Technik, Rationalisierung, Wissenschaft und neuen Kommunikationsmitteln ausgerichteten Stadtgestaltung untergeordnet.

Eine Ausnahme bildet hier Richard Buckminster-Fuller. Bereits Jahrzehnte vor der Ökobewegung dachte der Architekt, Techniker, Ökologe, Erfinder und Poet über knapper werdende Ressourcen und nachhaltiges Bauen nach. Er schrieb eine „Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde“ (1969)10 und machte sich den radikalen Neuentwurf eines als gefährlich unzulänglich erkannten Weltbildes zur Lebensaufgabe. Davon künden seine legendären geodätischen Kuppeln, die mit möglichst geringem Materialeinsatz und größtmöglicher Effizienz eine Leichtigkeit des Seins zelebrieren. Aus heutiger Sicht interessant sind vor allem seine Dymaxion-Erfindungen, deren Name aus drei Lieblingsbegriffen Buckminster-Fullers abgeleitet ist: DYnamic, MAXimum und tensION. Das „Dymaxion Car“ war ein aerodynamisch gestaltetes Automobil, das er in den 1930er Jahren baute, ohne aber Serienreife zu erreichen. Auch das „Dymaxion-Haus“, ein transportables, in Bausätzen lieferbares Fertighaus mit integrierten Recyclingkreisläufen, eilte seiner Zeit weit voraus. Die Zeit für eine ökologisch motivierte Designästhetik, die nicht nur funktional war, sondern die auch und vor allem die Aufgabe der Gestaltung einer humaneren Umwelt übernehmen konnte, sollte erst Jahrzehnte später, im Zeichen von Klimawandel und einer explodierenden Bevölkerungsentwicklung, reif sein.

Land Art – Back to the Future

Mit der Land Art tritt in den späten 1960er Jahren erstmals innerhalb der Avantgardeströmungen des 20. Jahrhunderts eine Kunstrichtung auf den Plan, die sich explizit mit den Potentialen einer Naturästhetik befasst. Den Ort ihrer Ausübung bilden die Weiten und das (vermeintlich) Unberührte der amerikanischen Landschaft, wobei die räumliche Distanz zu den urbanen Kunstinstitutionen immer auch eine ideologische Abgrenzung zum technoiden Charakter der amerikanischen Kultur beinhaltet. Trotzdem ist die Land Art mit einem simplen Back to Nature nicht zu fassen, denn Natur wird als solche erst durch den gestalterischen Eingriff erlebbar und erweist sich damit als immer schon gebunden an ein komplexeres, natürliche und kulturelle Prozesse umfassendes Ökosystem.

Diese Verwobenheit von Kultur und Natur wird in „Double Negative“ deutlich, einem der ersten sogenannten „Earth Works“ von Michael Heizer. Mit Bulldozern und Dynamit trieb der Künstler im Jahr 1969 zwei 15 Meter tiefe Einschnitte mit einer Gesamtlänge von mehr als 450 Metern in die wüstenartige Hochebene Mormon Mesa nahe bei Las Vegas. Rund 240.000 Tonnen Stein mussten bewegt werden, um einen negativen Raum zu schaffen – eine Leerstelle, die dem Kunstinteressierten einen Wahrnehmungsraum eröffnet, in dem sich die Erfahrung der eigenen physischen Existenz mit der Wahrnehmung einer (abwesenden) Natur verbindet.

Lässt sich Heizers Inszenierung einer als Negativ konturierten Natur hier zumindest implizit als Kommentar auf eine wachsende Vernichtung von Naturreserven und Ökosystemen interpretieren, so schlägt Heizers Kollege Robert Smithson mit seinem zeitgleich konzipierten Projekt „Island of Broken Glas“ einen weit drastischeren Ton an. Der Künstler hatte vor, eine der kleinen Miami-Inseln vollständig mit getöntem Glas zu bedecken. Das riesige Brennglas hätte die Vegetation komplett zerstört und die Insel in eine Wüste verwandelt. Dass dieser Plan bei Ökologen auf heftigste Proteste stieß und deshalb auch nicht realisiert wurde, ist nicht weiter verwunderlich, für das Konzept aber auch nicht entscheidend. Denn tatsächlich beklagt Smithsons negative Utopie das Scheitern einer Zivilisation, deren immer komplexere Strukturen letztlich in einen Zustand der Erstarrung und Verwüstung der Natur münden. Zu einem Zeitpunkt, als die USA mit der Raumfahrt ihre größten technologischen Erfolge feierte, demonstriert Smithson eine explizit technikkritische Haltung. Metapher hierfür ist der Kristall, der bei Smithson ganz im Unterschied zu den Architekturvisionen des frühen 20. Jahrhunderts nicht als Symbol für Wachstum und eine rationale Ordnung in der Natur steht, sondern für die mechanische Vervielfältigung einer immer gleichbleibenden Form.11 Ähnlich negativ besetzt, sind auch die in Smithsons Werk wiederkehrenden Topoi der Ruine, der Wüste und der (linksdrehenden) Spirale. Letztgenannte wird in „Spiral Jetty“ (1970), seinem wohl bekanntesten Land Art-Projekt, auf monumentale Weise inszeniert. Während die rechtsdrehende Spirale ein altes Symbol für die Entstehung des Universums darstellt, greift Smithson in der Umkehrung die negative Besetzung des Spiralmotivs als Zeichen für Erstarrung und Tod auf.

Auch im Oeuvre von Alan Sonfist spielt der Kristall eine wichtige Rolle, allerdings wird der serielle Charakter der kristallinen Form bei ihm zum Zeichen für die wiederkehrenden Prozesse und Zyklen in der Natur. Sein Langzeitprojekt „Time Landscape“ (1965–78) fasst vielleicht am besten all jene Interessen zusammen, die sich bis heute durch Sonfists Werk hindurchziehen.12 1965 begann der Künstler mit der Pflanzung eines vorkolonialen Waldes mitten im Zentrum Manhattans. In einem dreistufigen Prozess wurden Bäume, Sträucher und wilde Blumen angelegt, die vor der Besiedelung New Yorks dort beheimatet waren. Als Zeit-Landschaft verspannt Sonfists Gegenwart und Vergangenheit des Ortes miteinander; Zeit wird im Wachstum der Pflanzen als Kontinuum erlebbar. Gleichzeitig macht die den Stadtraum gestaltende Intervention aber auch deutlich, dass die Ursprünglichkeit der Natur ein unwiederbringlich verlorener Zustand ist, der allein noch durch künstlerische Zeichensetzungen symbolisch und sinnlich wiedergegeben werden kann.

Vielleicht hat die Land Art bisher am konsequentesten die Vorstellung einer Ökologisierung des Ästhetischen umgesetzt. In einer Zeit wachsender Bedrohung der Natur ruft sie in Erinnerung, dass der Mensch als leiblich-sinnliches Wesen in Umwelten existiert und immer schon Teil eines sozial definierten ökologischen Gefüges ist.13 Sie zeigt auf, dass es das „Außerhalb der Natur“ ebenso wenig gibt wie das „Außerhalb der Gesellschaft“. Allerdings bleibt zu fragen, ob die ästhetische Erfahrung als Erfahrung eines „Sich-Befindens in Umwelten“, wie Böhme es beschreibt, tatsächlich ausreicht, um ein neues Verhältnis des Menschen zu den ihn umgebenden Umwelten zu etablieren oder, ob es in Zukunft nicht viel eher die hybriden interdisziplinären Projekte zwischen Stadtplanung, Landschaftsarchitektur und sozialer Intervention sein werden, die einen ganz konkreten Beitrag zur Erhaltung der Welt leisten können. Der Überblick über die vergangenen 150 Jahre zeigt jedenfalls, dass die meisten Projekte, in denen über ökologische Fragen reflektiert wurde, außerhalb des White Cube stattfanden. Wer weiß, vielleicht führt ja gerade die globale Bedrohung der Ökosysteme zur Entstehung einer nicht nur im freien ästhetischen Spiel erfahrenen sondern praktisch gelebten Ethik der Verantwortung.

Anmerkungen
1) Unter dem Motto „Stadtverwaldung statt Stadtverwaltung” begann Joseph Beuys zur documenta 7 (1982) mit der Pflanzung von 7000 Eichen. Das Projekt war im Hinblick auf die allgemeine Verstädterung eine umfangreiche künstlerische und ökologische Intervention mit dem Ziel, den urbanen Lebensraum nachhaltig zu verändern. Zur documenta 8 im Jahr 1987 war das Projekt abgeschlossen.
2) Zit. nach Hansjörg Küster, Das ist Ökologie. Die biologischen Grundlagen unserer Existenz, München 2005, S. 11.
3) Gernot Böhme, Für eine ökologische Naturästhetik, Frankfurt am Main, 1989, S. 7 bzw. 9.
4) „Die Natur ist der unorganische Leib des Menschen, nämlich die Natur, soweit sie nicht selbst menschlicher Körper ist. Der Mensch lebt von der Natur, heißt: die Natur ist sein Leib, mit dem er in beständigem Prozeß bleiben muß, um nicht zu sterben. Daß das physische und geistige Leben des Menschen mit der Natur zusammenhängt, hat keinen andren Sinn, als daß die Natur mit sich selbst zusammenhängt, denn der Mensch ist ein Teil der Natur.“ Karl Marx, zit. nach Iring Fetscher, „Fortschrittsglaube und Ökologie im Denken von Marx und Engels“ (Belief in Progress and Ecology in the Thought of Marx and Engels), in: PRAXIS International, Ausgabe 2/1981, S. 193, http://www.ceeol.com.
5) Böhme, S. 8.
6) Verstanden als Prozess bürgerlicher Selbstverständigung und kultureller Selbststilisierung. Vgl. Norbert Elias, Über den Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen[1939], 2 Bde., Frankfurt am Main 1992.
7) Vgl. Henri Bergson, Denken und schöpferisches Werden, Frankfurt am Main 1985.
8) Im Anschluss an die Philosophie von Hermann Schmitz begreift Böhme die Ästhetik als eine Theorie der Atmosphären. Böhme, S. 11.
9) John Ruskin, „Die Steine von Venedig. Das Wesen der Gotik“, in: Ästhetik der schönen Genügsamkeit oder Arts & Crafts als Lebensform. Programmatische Texte, erläutert von Gerda Breuer, Bauwelt Fundamente, 112, hrsg. von Ulrich Conrads/Peter Neitzke, Braunschweig/Wiesbaden 1998, S. 86.
10) Vgl. Richard Buckminster-Fuller, Bedienungsanleitung für das Raumschiff Erde und andere Schriften, hrsg. von Joachim Krause, Hamburg 2008.
11) Entropie, Ruine, Wüste und die linksdrehende Spirale haben im Oeuvre Smithsons eine ähnliche Bedeutung. Zum Entropie-Gedanken bei Smithson vgl. Robert Smithson, „Entropy made Visible, Interview with Alison Sky, 1973“, in: Jack Flam (Hrsg.), Robert Smithson. The Collected Writings, Berkeley/Los Angeles/London 1996, S. 301–309.
12) http://www.kunstundboden.de/html/index.php?id=92.
13) Im Unterschied zum natural definierten Ökosystem ist das ökologische Gefüge sozial definiert: „Ein ökologisches Gefüge ist ein Stück Natur, dessen Grenzen und dessen Einheit sozial definiert sind und dessen Zustand durch menschliche Nutzung und Arbeit reproduziert wird.“ Böhme, S. 73.