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Titel: Existenz am Limit · von Harald Welzer · S. 92 - 103
Titel: Existenz am Limit , 2009

Harald Welzer
Klimakriege

Über Gewalt im 21. Jahrhundert

I. Die Rückkehr der heißen Ressourcenkonflikte

Die globale Klimaerwärmung wird grundsätzlich zu einer Vertiefung und Verschärfung der global ohnehin bestehenden Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten führen. Die Länder, die am meisten von den Folgen der Erwärmung – Bodenerosion, Überschwemmungen, Trinkwassermangel, Stürme, das Auftauen von Permafrostböden, extreme Wetterereignisse usw. – betroffen sind, haben nicht nur am wenigsten zur Verursachung beigetragen, sie haben auch die geringsten Kapazitäten, Katastrophen zu bewältigen. Gefragt, ob die Überschwemmung in Myanmar im Jahr 2008, die mindestens 130.000 Menschen das Leben kostete, ein Problem für die Versicherungswirtschaft darstelle, antwortete ein Vorstandsmitglied der Münchener Rückversicherung: „Es gibt dort keine versicherten Güter.“ Damit ist zugleich angedeutet, dass die Folgen des Klimawandels immer eine Kombination aus klimatischen und sozialen Bedingungen darstellen, weshalb es ein eklatantes Versäumnis der Kultur- und Sozialwissenschaften ist, den Klimawandel bislang als ein Problem betrachtet zu haben, für das die Klimaforscher zuständig sind. Gerade der bedrückende Befund, dass die zentralen Faktoren des Phänomens Klimawandel seit mehr als zwei Jahrzehnten bekannt sind, ohne dass das die Politik und die Öffentlichkeit sonderlich aus der Ruhe gebracht hätte, spricht deutlich aus, welche analytische und kommunikative Lücke durch den Totalausfall der zuständigen Disziplinen entstanden ist. Dass man bis heute kaum verstanden hat, dass der Klimawandel die Lebensverhältnisse auf dem Planeten und damit auch in den westlichen Demokratien gravierend beeinträchtigen wird, geht eben nicht nur auf die Indolenz von Wirtschaft und Politik zurück, sondern auch auf die fehlende Expertise von Gewalt- und Risikoforschern.

Noch bis vor kurzem herrschte wissenschaftlich erhebliche Uneinigkeit,…


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