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Titel: Zur Aktualität des Idyllischen · von Sven Drühl · S. 80 - 93
Titel: Zur Aktualität des Idyllischen , 2006

Sven Drühl
Idylle-Ironiesierungen

I. Idylle

Im Zuge der Moderne wurde die einstmals sehr beliebte und verbreitete Idylle-Thematik zu einem Randgebiet der bildenden Kunst und fand angesichts der künstlerischen (formsprachlichen wie auch inhaltlichen) und historischen Entwicklungen kaum noch ungebrochen Bearbeitung. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gerät die Idylle als Gattung sogar weitgehend in Vergessenheit, sie scheint zu sehr negativ behaftet im Sinne rückwärtsgewandter Verklärung bzw. weltfremder Naivität. Industrialisierung und Technokratie lassen Motive der traditionellen Idylle, d. h. arkadische Ideallandschaften nach Vergilschem Diktum – auch locus amoenus (lieblicher Ort) genannt – bestehend aus friedlichen, umgrenzten südlichen Landschaften, vielfach mit Vieh auf satten Weiden und schattenspendenden Eichenbäumen an blumenumrankten Flussufern oder Bachläufen1 als Relikte einer untergegangenen bzw. niemals existenten ,heilen´ Welt erscheinen, in der der Mensch angeblich mit Tierwelt und Natur in Einklang steht. In der heutigen Zeit politischer Umbrüche und gesellschaftlicher Fragmentierung bzw. Isolation könnte kaum etwas unzeitgemäßer und ideologisch verdächtiger erscheinen. Dabei handelt es sich eigentlich um ein Gegenbild zum jeweils Bestehenden, denn die Idylle wandelt sich mit der Gesellschaft, sie ist gleichermaßen Sehnsuchtchiffre und Kompensationsmodell – in ihr steckt als Entwurf der besseren Welt indirekt das Potenzial der Gesellschaftskritik.2 Die Zuschreibungen für das idyllische Land Arkadien – Substitut und Inbegriff des idyllischen Daseins – reichen von unwiederbringlich verlorener Ursprünglichkeit bis zum “Rückzugsgebiet vor einer von Auseinandersetzungen und konfliktreichen Veränderungen beherrschten Alltagsrealität.”3 Arkadien, “geschaffen als sentimentalisches Gegenbild zur überfeinerten, verderbten Zivilisation, entspricht […] dem alten Traum vom einfachen elementaren Glück. Einheit mit der Natur, Einklang mit der Gottheit, Erinnerung an den verlorenen Stand der Unschuld, Muße, Frieden und Liebe gehören zu seinen unabdingbaren Ingredenzien.”4 Idylle und Arkadien kann man also weitgehend als Synonyme begreifen. Dass Arkadien jedoch ein gebrochenes Ideal ist, in dem nicht allein Unschuld, Frieden und Liebe beheimatet sind, sondern ebenso der Tod, hat bereits Erwin Panofsky anhand einer sprach- und kunstwissenschaftlichen Analyse nachgewiesen, indem er die Inschrift in den “Et in Arcadia ego”-Gemälden von Giovanni Francesco Guercino und Nicolas Poussin vom fälschlichen “Auch ich bin in Arkadien geboren” in “Selbst in Arkadien gibt es mich” umdeutete.5 Die Idylle ist also getrübt, das arkadische Glück ist vergänglich.

Verkam die Idylle im späten 18. und frühen 19. Jahrhundert bereits zum antikisch-idealisierten Abziehbild im Sinne der keimfreien und zugleich pathetischen Stilisierung einer Paradiesvorstellung, die durch Müßiggang und Beschaulichkeit bestimmt ist (etwa in den Werken von Salomon Gessner, Jakob Philipp Hackert oder Adrian Ludwig Richter), so wurde sie im Biedermeier inhaltlich und motivisch umgedeutet. Inhaltlich waren Gesellschaft und Idylle deckungsgleich gesetzt, das Bestehende wurde bejaht, die Idylle hatte als Gegenmodell der Wirklichkeit ausgedient. Folgerichtig wurde die Biedermeier-Idylle motivisch durch kleinbürgerliche Gärten – häufig samt Familie – visualisiert (z. B. in Werken von Leopold Graf von Kalckreuth, Max Liebermann oder Carl Spitzweg) oder sie wurde gänzlich in den engen häuslichen Privatraum verlegt: Die Idylle in der Topfpflanze bzw. Arkadien im Kleinformat (z. B. bei Eugène Antoine Durenne, Gotthardt Kuehl und Carl Spitzweg) .6 Eine solchermaßen abgewandelte Idylle, bei der der Aspekt der Abgeschlossenheit als Konstitutiv der Idylle auf die Spitze getrieben ist, stellt lediglich ein Echo der einstigen Gattung dar, die etwa in den Werken von Nicolas Poussin ihre glanzvolle Entfaltung fand.

II. Frühe Idylle-Ironisierungen

Doch wie kommt in diesem Kontext die Ironie ins Spiel? Lässt sich überhaupt eine Verbindung zwischen Idylle und Ironie nachweisen? Bereits für literarische Werke des 18. Jahrhundert spricht der Kunsthistoriker Klaus Bernhard von satirischen Idyllen, wenn in ihnen direkte Sozialkritik geübt und die traditionelle Form der Idylle pervertiert wird, beispielsweise in den Arbeiten von Johann Heinrich Voß.7 Diese Pervertierung oder zeitgemäßer ausgedrückt Ironisierung der traditionellen Idylle in der literarischen Form findet sich auch in Werken der bildenden Kunst wieder. Bereits für Bilder ab dem Biedermeier wird manchmal eine “ironische Brechung” konstatiert, etwa in zahlreichen Gemälden von Spitzweg wie z. B. ,Der Liebesbrief´ (um 1845), ,Das Flötenkonzert´ (um 1855) und ,Badende Nymphen´ (um 1873). Der Spitzweg-Spezialist Jens Christian Jensen beschreibt letzteres äußerst treffend als ironisch gebrochene Idylledarstellung im realistischen Stil der Barbizon-Maler: “Die ,Badenden Nymphen´ scheinen alle Indizien einer reinen Idylle zu bestätigen: den von Bäumen umstellten, abgeschlossenen locus amoenus, das plätschernde Gewässer, die Badenden, die sich im Gefühl ihrer Naturnähe ungezwungen geben, Abgeschiedenheit und Zeitstillstand, die Harmonie von menschlicher Subjektivität und natürlicher Umwelt, die einfache Handlung des Badens. Aber auch diese Idylle wird gestört: Links auf dem Scheitel des Abhangs, der zum aufgestauten Bach herabfällt, beobachten zwei Zwerge die nackten Frauen. Der Betrachter lächelt zwar, doch kaum befreiend. Als außenstehender Beobachter findet er sich durch Spitzweg als Voyeur abgewertet […].”8 Durch die Hinzusetzung der Zwerge zum regulären Idylle-Personal kehrt Spitzweg also die inhaltliche Komponente um: aus dem Ort des ungestörten Daseins in Verbindung mit der Natur, wird ein Ort der Beobachtung und der unziemlichen erotischen Spannungen.

Dieser ungezwungene Umgang Spitzwegs mit der Idylle-Motivik und der Idylle-Thematik sollte natürlich längst nicht der letzte Akt der Idylle-Ironisierung bleiben. Beispielsweise in Werken von Giorgio de Chirico, dem Begründer der Pittura metafisica, zeigen sich trotz seiner häufig durchschlagenden Vorliebe für das Pathos und die teilweise polemische und zugleich ernste Ablehnung der Kunst seiner Zeit vielfach sehr deutliche Züge von Ironie. De Chirico hat sich besonders in seinem Früh- und Spätwerk häufig an tradierten und mythologisch-inspirierten Motiven orientiert, diese in seinem künstlerischen Stil aktualisiert und eben z. T. auch ironisiert. De Chirico löst sich spätestens seit 1909 von den starren akademischen Malkonventionen und transformiert seine Figuren in eine Art Prä-Comic-Ästhetik, er malt mit einer wie Paolo Baldacci es formuliert “fast kindlichen Ungeschicktkeit”.9 So befreit er die mythologischen Figuren vom Pathos und verbindet die Sphären “high” und “low”, denn hochkulturelle, bildungsbürgerliche Themen werden mit Trash-Appeal vorgeführt, es entsteht eine Mixtur, deren Ironie augenscheinlich ist und die untergründig auch sein metaphysisches Werk durchzieht.10 Beispielsweise in dem Gemälde “Serenade” aus dem Frühwerk De Chiricos deutet sich diese Ironisierung an, denn es tummeln sich mythologische Frauenfiguren, davon zwei mit Saiteninstrumenten, in einer idyllischen Landschaft mit Lichtung, Berg, Wald, einer efeubewachsenen Gartenlaube und einer Quelle, auf deren Einfassung der Kopf des doppelgesichtigen Gottes Janus als Relief abgebildet ist. Diese Doppelgesichtigkeit bzw. zweifache Lesbarkeit des Bildes wird durch die Machart unterstützt. De Chirico malt die Szene handwerklich ungelenk, beinahe dilettantisch, wie eine Persiflage auf die akademischen Regeln des Malbetriebs, denn schließlich bewegt er sich in ihrem künstlerischen Bezugsrahmen und nicht völlig außerhalb wie etwa Künstler des Kubismus oder Expressionismus.

Auch den Rückzug ins Private und ins Heimische, wie er in der Biedermeier-Idylle vollzogen wurde, präsentiert De Chirico äußerst unkonventionell. In dem Gemälde ,Die Rückkehr in die Heimat´ aus dem Jahr 1933/34 präsentiert der Künstler eine männliche Rückenfigur in eine Art Harnisch gekleidet inmitten idyllischer Attribute: Das Privathaus samt Garten und Gartenzaun, mit Bäumen und einem Teich, in dessen Mitte eine Fontäne nach oben schießt. Am Himmel ziehen Vögel vorbei, aus dem Schornstein weht Rauch und im Fenster steht eine Topfpflanze. Biedermeier-Heimeligkeit und von der Außenwelt beinahe abgeschlossene Gemütlichkeit durchzieht das Bild. Der Topos Heimat wird hier als idyllischer Rückzugsort ironisiert.

Im Werk von Giorgio de Chiricos Bruder Andrea de Chirico, der sich als Künstler Alberto Savinio nannte, wird man ebenfalls im Hinblick auf Idylle-Ironisierungen fündig. Sein malerisches Werk ist bestimmt von sehr ungewöhnlichen Zusammensetzungen bestehend aus mythischen Reminiszenzen und symbolischen Konfigurationen, aber auch vom hemmungslosen Zugriff auf historische wie kunsthistorische Themen, Motive und Sinnkomplexe. Savinio hat schon in der Moderne Entwicklungen vorweggenommen, die man heute als postmodernen Stilpluralismus bezeichnen würde. Savinios Werk ist leider bis heute so gut wie unbeachtet geblieben, obwohl er als Visionär und großer Ironiker anzusehen ist. In seinen Landschaftsbildern vereint er zum Teil Unvereinbares, wie etwa in dem Bild “Objekte im Wald” von 1927/28, das inmitten einer exotischen Landschaft, die eher einem Urwald als einem arkadischen Lichtungsstück gleicht, einen überdimensionierten Haufen Holzspielzeug zeigt. Die Zusammenbringung dieser beiden Sujets wirkt zum einen surreal grotesk, zum anderen aber unterscheidet Savinio deutlich zwischen handwerklich Hergestelltem – also der menschlichen Ordnung unterworfenem – und der Natur als wilder, ungezähmter Landschaft. Den Bruch verdeutlicht Savinio auch malerisch, indem er die Spielzeugsteine bunt anlegt, die Landschaft dagegen nur in diffusen Grautönen. Es wirkt wie eine frühes Experiment, bei dem er zeigt, dass die Malerei Möglichkeiten bietet, die ihre große Konkurrentin – die Fotografie – nicht aufweisen kann, nämlich Farbe und Schwarz-weiß in einem Bild zu vereinen. Vereint wird außerdem in dem Bild eine Art Urzustand mit dem technologischen Fortschritt, der durch die exakt geformten Teile symbolisiert wird. Noch größer wird der bildliche Gegensatz in einem Gemälde ohne Titel aus dem Jahr 1929, das Savinio in Blau- und Brauntönen vordergründig als idyllisches Landschaftsbild mit Lichtung, Wiesenstück, Gebüschen und Bäumen anlegt, allerdings gänzlich ohne idyllische Füllung, weder Tiere, noch Menschen, noch mythologische Gestalten sind zu sehen. Statt dessen kommt der Bruch mit voller Wucht in der Darstellung des Himmels zur Geltung, den Savinio aus dynamisch angeordneten, farbenfrohen geometrischen Formen zusammensetzt. Das Bild fällt völlig auseinander, disparatere Teile kann man sich in einer Komposition kaum vorstellen, es scheint, als wollte Savinio Kunst mit Kunst bekämpfen, die Abstraktion gegen den Realismus ins Feld führen. Diese Bilderfindungen sind ihrer Zeit um Jahre voraus, die Einzelteile wirken so brachial zusammengezwungen, dass man meint, ein Pop-Art-Künstler habe sich an einem klassischen Landschaftsbild vergriffen. Die Kunsthistorikerin Pia Vivarelli schreibt dazu treffend: “Über das Mittel der Ironie schleichen sich überaus zeitgenössische Elemente der Entzauberung und der Verunsicherung selbst in die fantastisch-mythischen Darstellungen von Savinios Gemälden ein: Die üblichen Naturansichten mit ihren verführerischen Farben erscheinen plötzlich auch als persönliche Miniaturausgaben eines irdischen Paradieses […]. Die Kunst kann – so die Botschaft von Savinios Malerei – neue und wundersame Gleichgewichtszustände von natur und Mensch ersinnen, ähnlich den Visionen des irdischen Paradieses, aber sie ist auch stets von der Zweckfreiheit des schöpferischen Spiels selbst gefährdet.”11

III. Zeitgenössische Idylle-Ironisierungen

In der zeitgenössischen Kunst lassen sich wahrscheinlich unzählige Beispiele für Idylle-Ironisierungen aufzeigen, hier sollen nur ein paar wenige exemplarisch angeführt werden.

In den meist kleinformatigen Werken von Fabian Weinecke (Jg. 1968) finden sich immer wieder zahlreiche Idylle- bzw. Arkadienattribute, die allerdings um unpassende, unstimmige Elemente erweitert werden. Weinecke verwendet bevorzugt Gemälde von Künstlern wie Carl Spitzweg, Giorgio de Chirico oder Francesco Guardi als Inspirationsquelle für seine eigenen Gemälde. Er reduziert die kunsthistorischen Vorlagen meist auf einige tragende Motivfragmente und besetzt die so entstandene Bild-Bühne neu mit seinen eigenen, immer wiederkehrenden Protagonisten, Gegenständen und Symbolen. Meist handelt es sich dabei um nackte oder spärlich bekleidete Frauen (häufig tragen sie ein Rot-Kreuz-T-Shirt), die sich auf den Lichtungen, den Waldstücken oder am Flusslauf tummeln. Diesen stellt Weinecke kuriose Dinge wie Tische, Schlitten, Schädel und besonders häufig elektrische Gitarren zur Seite.

Mit seinen nackten bzw. halbnackten Frauenfiguren inmitten arkadischer Landschaften steht der Künstler in bester Idylle-Tradition, denn von der Renaissance bis zum Rokoko gibt es immer wieder Beispiele, dass die Arkadien-Thematik funktionalisiert wurde, um Bilder und Texte erotisch freizügiger zu gestalten, es finden sich nackte Menschen in der freien Natur, sie tanzen oder feiern und geben sich den sexuellen Verlockungen hin. Maisak erklärt dies folgendermaßen: “Da dieses lustvolle Wunschbild im Gegensatz zur moralischen Norm steht, bedarf es einer Rechtfertigung, die mit dem distanzierenden Hinweis auf ein mythisches Zeitalter, auf das archaische Hirtenleben und die freien Lebens- und Kunstformen der Antike gleich mehrfach gegeben ist. Unter dieser Prämisse eignet die arkadische Schäferwelt sich bestens als Vorwand für erotische Darstellungen, die in solcher Verbrämung toleriert werden.”12

Heute bedarf es natürlich nicht mehr dieses Kunstgriffes, um Erotisches darzustellen und darum geht es Weinecke wohl auch nur am Rande. Vielmehr bezieht er sich auf die Idylle-Tradition, um diese gekonnt zu unterlaufen, in ihr Gegenteil zu verkehren, sie zu brechen und zu ironisieren. Weinecke deutet das Personal Arkadiens – gängigerweise mythologisch bestimmt als Nymphen, Satyrn, Faune oder in der realistischen Variante in Form von Hirten oder Liebespaaren – um, es wird erweitert, persifliert und aktualisiert. Zur Verdeutlichung lohnt die Gegenüberstellung eines Originals von Spitzweg und der daraus abgeleiteten Version von Weinecke. Spitzwegs ,Badende Nymphe´, das datiert ist auf die Jahre 1855/60, zeigt wie auch das bereits angeführte Gemälde ,Badende Nymphen´ aus dem Spätwerk des Künstlers eine idyllische Grottenlandschaft. Hier steht allerdings nur eine einzelne nackte Nymphe mit dem Rücken zum Betrachter und geht sich lasziv durch ihr langes blondes Haar. Die erotische Szenerie wird wie in dem zweiten Bild Spitzwegs zum Thema durch die Anwesenheit zweier Zwerge gestört, die die Nymphe im Gegensatz zum Bildbetrachter natürlich frontal von vorne, in ihrer ganzen ungeschützten Nacktheit sehen.

Von dieser Idylle-Ironisierung Spitzwegs ausgehend, entwirft Weinecke in seinem Gemälde ohne Titel aus dem Jahr 2000 ein völlig anderes Szenario. Die landschaftliche Ausstattung entspricht weitgehend der Vorlage von Spitzweg, allerdings ist sie malerisch sehr stark vereinfacht. Statt eines realistischen Stils bevorzugt Weinecke eine Form der abstrahierenden Reduktion, die teilweise an die bewusst naiv-kindliche Setzung de Chiricos erinnert, allerdings scheint die malerische Inszenierung handwerklicher Naivität sehr viel gekonnter. Weinecke spielt also bloß den naiven Maler. An gleicher Stelle wie Spitzwegs Nymphe steht nun eine weibliche Figur mit modischen blonden Zöpfen, einem weißen T-Shirt und einer hellblauen E-Gitarre mit dem Rücken zum Betrachter. Zu dieser gesellen sich zwei weitere Frauenfiguren; eine springt mit einem grauen, mit Rot-Kreuz-Emblemen versehenen Bikini und schwarzen schweren Stiefeln bekleidet vom Felsen in den Tümpel/Teich hinab und eine andere mit Armeehose- und -stiefeln ausgestattet klettert gerade die Felswand hinauf, wohl um sich dann ebenfalls dem Spring- und Badespaß hinzugeben. Das Ganze weckt unterschiedlichste Assoziationen vom harmlosen Freundinnen-Badeausflug bis zum Frauentreffen homoerotischer Couleur. Auf die voyeuristischen Zwerge aus dem Spitzweg-Gemälde verzichtet Weinecke ganz, er braucht diese gar nicht mehr, um die Idylle zu ironisieren, er tut dies schon anhand der einzelnen Figuren, die in ihrer ungewöhnlichen Kleidung und mit ihren Handlungen nicht so recht in die Landschaft passen wollen.

Auch in einer weiteren Arbeit ohne Titel aus dem Jahr 2000 verwendet Weinecke als Basis ein Bild von Spitzweg und zwar ,Der Schmetterlingsfänger´ aus dem Jahr 1840. Statt eines Schmetterlingsfängers mit Netz findet man in Weineckes Bild nun inmitten des pittoresken Waldstücks (das von Weinecke wiederum sehr trashig und grob gemalt ist) nun erneut eine knapp bekleidete Frau im modischen Camouflage-Shirt mit Pagenkopf-Frisur auf dem Boden sitzend. In der Hand hält sie ein Mikrophon, dessen Kabel an ein altmodisches Tonbandgerät angeschlossen ist, welches auf einem Schlitten steht. Neben der Figur steckt wie zur Landnahme eine Stange im Boden, an deren Ende eine Fahne mit Rot-Kreuz-Emblem weht. Die Handlung lässt sich kaum sinnvoll auflösen. Ob die junge Frau die Geräusche des Waldes aufzeichnet oder eine Gesangseinlage gibt, ist ebenso wenig zu entscheiden, wie der Sinn und Zweck der Fahne bzw. des Schlittens zu entschlüsseln ist. Weinecke entführt ins Rätselhafte und Verschrobene. Seine Bilder laufen narrativ gesehen ins Offene und Unbestimmte, sie generieren keine Bedeutung und erklären keine Zusammenhänge. Aber die Absurdität der Situation ist deutlich. Die Idylle wird wiederum ironisiert, das scheinbar idyllische Moment, die friedliche Situation wird durch deren Unsinnigkeit gebrochen. Der Betrachter bleibt verwundert und schmunzelnd im Morast der Deutungsmöglichkeiten stecken.

In seinen neueren Werken seit 2003 greift Weinecke nun nicht mehr durchgängig auf kunsthistorische Gemälde zurück, sondern erschafft teilweise frei erfundene Landschaften, die mal mehr und mal weniger die Attribute einer idyllischen Komposition vereinen. Doch auch in diesen Arbeiten ist die ironische Brechung des Idylle-Gefüges deutlich erkennbar, wenn beispielsweise eine nackte Frau in furioser Verrenkung oder Tanzbewegung auf einem Felsen das Tamborin schlägt. Im Hintergrund ist eine Art Anti-Arkadien zu sehen: abgestorbene Bäume ohne Blätter, ödes Land, grauer Himmel. Weinecke verkehrt die Idylle in ihr Gegenteil und dennoch bleibt deutlich erkennbar, aus welchem Fundus sich die Motivik speist.

Sehr viel direkter als bei Weinecke tritt die Idylle-Ironisierung im Werk von Johannes Hüppi (Jg. 1965) zu Tage. Es gibt eine Vielzahl von meist kleinformatigen Bildern, die um die Idylle-Thematik kreisen. Beinahe alle zeigen sie mit großer Raffinesse und meisterhafter Leichtigkeit gemalte Waldstücke, Lichtungen, sonnenbeschienene Wiesen und Hänge, Grotten oder Flussläufe. Doch statt des mythologischen arkadischen Personals versammelt Hüppi in der Regel dasjenige realistischer Idyllen: nämlich Liebespaare oder einzelne Frauenfiguren. Nur dass die Realität bei Hüppi in extremer Weise Einzug hält, da er meist noch ein Motorrad – genauer eine Ducati – (er selbst ist Motorradfahrer und fährt eine solche Maschine) oder einen alten Mercedes Benz ins Bildgeschehen integriert und dass die Liebespaare auch tatsächlich “Liebe” machen, d. h. er zeigt sie bei eindeutig sexuellen Handlung, beim Oral- oder Geschlechtsverkehr, beim Petting genauso wie beim Onanieren. Hüppi zeigt aber auch die stillen Momente: ein Paar schläft Hand in Hand nebeneinander, eine weibliche Schönheit sitzt in kontemplativer Haltung im Gras oder döst auf ihrer Decke. Ganz selten spielt der Titel auf die Direktheit und Banalität der Realität an, wenn eine Frauenfigur in einem Gemälde aus dem Jahr 2005 als “schwarze Prostituierte” benannt wird. Allerdings sind Titel bei Hüppi eher eine sehr seltene Ausnahme, meist verzichtet er darauf, zugunsten der narrativen Offenheit eines Bildes ohne Titel. Augenscheinlich hat Hüppi eine Vorliebe fürs Exotische, seine Frauenfiguren erinnern stets an Asiatinnen oder Afrikanerinnen. Sein Arkadien ist eindeutig erotisch situiert, es dient ihm als Projektionsfläche, als Ort der fleischlichen Lust und Verzückung – nackte Menschen inmitten friedlicher Natur frönen der natürlichsten Sache der Welt. Allerdings stehen seine Gemälde durch die Explizitheit der sexuellen Handlungen und die Hinzusetzung von Mercedes, Motorrad oder sogar einem Schlagzeuger samt Drum-Set im Kontext der Ironisierungen der Gattung, denn der Bruch zu den traditionellen Idylle-Gemälden könnte kaum größer sein, schließlich spielte sich bei diesen das geschehen weitgehend im Kopf des Betrachters ab. Eine zusätzliche Ebene der Umkehrung treten durch biografische Bezüge des Künstlers hervor: Hüppi ist leidenschaftlicher Motorradfahrer, der sich in seinem Katalog ,Paarweise´ (1999) auf einem Foto in Motorradkluft vor seiner Maschine präsentiert, die denen auf seinen Bildern gleicht. Die Bilder können so als biografische gelesen werden, vielleicht dokumentieren sie nur tatsächliche Begebenheiten aus dem Leben des Künstlers? Oder sind es doch nur seine Wunschvorstellungen und Projektionen, die er in Öl übersetzt? Die Antwort kann nur der Künstler selbst geben. Der Kunsthistoriker Martin Stather konstatiert, dass seine Bilder zumindest am Rande idyllisch seien: “Hüppis Frauen sind Naturereignisse, verschmelzen mit der Natur, tauchen auf wie Personifikationen der Mutter Erde oder wie Flussgöttinnen. Die Aktiva sind deutlich auf ihrer Seite, der Mann nähert sich, ohne sie jemals ganz zu erreichen. […] Das weibliche Objekt der Begierde in all seiner Vertrautheit bleibt fremd, wird das Opfer von Projektionen, mythologischer Verbrämung, männlichen Unverständnisses. Hinsehen, schnelles Wegsehen, die ganze Palette von Anziehung und Abstoßung. Und doch ist da Nähe, nachts, im Schlaf, wenn einer den anderen liebevoll betrachtet, einen Kuß auf die Schulter haucht. Dann wird die Fremdheit gegenstandslos, dann ist da ein Moment Arkadien.”13

Ähnlich wie Hüppi konstruiert auch Marcus Sendlinger (Jg. 1967) seine Idyllen über das Hilfsmittel Motorrad. Bei den Gemälden der Serie ,Fahrt nach Brandenburg´ aus dem Jahr 2004 handelt sich um kleinformatige Landschaftsgemälde mit idyllischen Attributen. Allerdings wird das arkadische Residuum bei Sendlinger zum Bikertreff bzw. Diner an der Landstrasse transformiert, auf dessen Parkplatz einige Maschinen zu sehen sind. Auf der Strasse fahren gleichzeitig mehrere Motorräder vorbei, man kann die Fahrer in ihrer schwarzen Lederkluft erkennen. Idyllisches wird suggeriert u. a. durch Bäume und Felder, aber auch durch Tiere wie etwa Schweine und Hühner im Gehege, Hunde oder Rehe – ganz Idylle-Kitsch und verklärter Blick aufs Landleben gemäß dem romantisierenden Verständnis von vielen Motorradfahrern, denen der Motorrad-Trip ins Grüne einem Rückzug in die Idylle des Ländlichen fernab der hektischen Betriebsamkeit der Großstädte gleichkommt. Sendlinger führt die Klischees in auf naiv getrimmter Malweise vor, die dem naiven, verklärten Blick auf das Geschehen entspricht: Mal steht ein Biker auf der Veranda mit einer Flasche Bier in der Hand, daneben findet man Schweine, die sich wohlig im Schlamm suhlen, Rehe stehen am Wegesrand, ein Bauer in seinem Traktor mit Anhänger biegt nach vollbrachter, unentfremdeter, weil ach so ursprünglicher Arbeit vom Feldweg in die Landstraße ein, ein anderer düngt gerade die Felder, etc. Den Hintergrund des Bildes säumt jeweils eine künstlich angelegte Landschaft bestehend aus Feldern, Äckern und Gärten. Hier wird der Bruch im Natur-Idylle-Reigen deutlich, denn die Landschaft ist keine natürliche, sondern eine von Menschenhand erschaffene. Sendlinger führt vor, dass das Motorradfahren selbst häufig zum idyllischen Akt stilisiert wird, denn dabei findet dank der unmittelbaren Wahrnehmung der Außenwelt angeblich eine einmalige Symbiose von Natur, Mensch und Technik statt.

Das abschließende Beispiel für Idylle-Ironiesierungen liefert der Künstler Michael Kunze. Er hat sich seine ganz privat gefüllte Form von Arkadien in seinen meist großformatigen Bildern erschaffen. Die Gemälde bauen in der Regel auf streng kalkulierten Perspektiven auf, stets gibt es Architektur- und Naturelemente – etwa gewaltige burgähnliche, hermetische Bauten oder Mauern und schwimmbadähnliche Einlassungen neben zypressenbewachsenen Landschaften – dennoch wirkt alles konstruiert und irreal. Kunze erzeugt unwirkliche Bühnen, auf denen sich sein Personal inmitten alltäglicher, aber auch ungewöhnlicher Dinge bewegt und sich z. T. unauffälligen, z. T. aber auch rätselhaften, beinahe surreal anmutenden Handlungen hingibt. Einige Personen sonnen sich, andere balancieren über einem Abgrund, wieder andere machen Liegestütze mit Blumenkästen auf dem Rücken oder bügeln Blumen; außerdem finden sich beispielsweise kleine Figurinen, mathematische Instrumente, eine Dampfwalze, Basketballkörbe, Wäscheleinen, Schirme oder diverse Tiere nebeneinander.

Meist vermitteln die Bilder eine geheimnisvolle Atmosphäre, die Landschaften scheinen nicht Arkadien, sondern eher einem Alptraum entsprungen. In dem Gemälde ,Projektion gegen Gewicht im Aufwind´ aus dem Jahr 2002 verzichtet Kunze sogar ganz auf menschliche Figuren im Bild, zugunsten einer alles überschattenden Architektur, die zwischen Burgruine und Horrorfilmarchitektur pendelt. Die malerisch überaus versiert ausgearbeitete Landschaft wird gleichsam ein- und ausgesperrt, inmitten des idyllischen Abschnitts ragt die Architektur wie ein Schiff auf hoher See heraus und scheint den steinigen Boden zu zerschneiden. Kunze komponiert den Gegensatz zwischen Natur und vom Menschen geschaffener Ordnung und vereint so die Idylle mit ihrem Gegenpart innerhalb eines Gemäldes.

Kitschigere und zugleich härtere Gegensätze in einem Bild vereinend, zeigt ,Schläfe´ aus dem Jahr 2004, eine Art Lichtung mit Seestück, Architektur und kargem Landschaftsversatz in Form von bergigen Klippen. Am düsteren Gewitterhimmel wird ein Regenbogen angedeutet. Überraschenderweise steht ein Hubschrauber auf dem Dach des Gebäudes: es ist wirklich ein düsteres, verschrobenes Arkadienbild, das Kunze entwirft. Wer möchte schon in dieser unwirklichen, beinahe gespenstischen Landschaft zu Hause sein?

Es fällt auf, dass die künstlerischen Strategien auf die traditionellen Themen Idylle und Arkadien durch Ironisierung zu reagieren, sehr unterschiedlich sind. Es gibt keine Regel, wie etwas ironisiert wird und welcher Teilbereich bzw. welche idyllischen Attribute auf- bzw. angegriffen werden. Dennoch ist deutlich, dass die Motivik der Gattung keineswegs in Vergessenheit geraten ist wie vielfach angenommen wurde, sondern in unterschiedlichen Ausprägungen fortbesteht: mal als Inspirationsquelle für Wiederbelebungsversuche, mal als Ausgangspunkt von Ironisierungen und Transformationen.

Anmerkungen:
1) Vgl. Rolf Wedewer, Landschaftsmalerei zwischen Traum und Wirklichkeit. Idylle und Konflikt, Köln 1978, S. 9.
2 ) Vgl. Klaus Bernhard, Idylle – Theorie, Geschichte, Darstellung in der Malerei 1750-1850, Köln 1977, S. 31-33.
3) Wedewer, S. 11.
4) Petra Maisak, Nachwort, in: Petra Maisak/Corinna Fiedler (Hrsg.), Arkadien. Landschaft vergänglichen Glücks, Frankfurt am Main 1992, S. 157.
5) Vgl. Erwin Panofsky, Et in Arcadia ego. Poussin und die Tradition des Elegischen, in: Erwin Panofsky, Sinn und Deutung in der bildenden Kunst, Köln 1975, S. 359-369.
6) Zur Wandlung des Idylle-Begriffs, von idealisierend zu idealistisch, vgl. Bernhard. Zur Biedermeier-Idylle vgl. Jens Christian Jensen, Wandlungen der Idylle im 19. Jahrhundert am Beispiel des Werkes von Carl Spitzweg, in: Rolf Wedewer/Jens Christian Jensen (Hrsg.), Die Idylle – Eine Bildform im Wandel. 1750 – 1930, Köln 1986, S. 142-152.
7) Vgl. Bernhard, S. 33.
8) Jensen, S. 145-146. Ähnlich beschreibt der Autor das Bild auch in: Jens Christian Jensen, Carl Spitzweg. Gemälde und Zeichnungen im Museum Georg Schäfer Schweinfurt, München 2002, S. 168.
9) Paolo Baldacci, Zu zweit hatten wir einen einzigen Gedanken, in: Paolo Baldacci/Wieland Schmied (Hrsg.), Die andere Moderne – De Chirico/Savinio, Ausst.Kat. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Ostfildern 2001, S. 56.
10) Vgl. Baldacci, S. 55.
11) Pia Vivarelli, Die fantastisch-mythische Prähistorie von Alberto Savinio, in: Paolo Baldacci/Wieland Schmied (Hrsg.), Die andere Moderne – De Chirico/Savinio, Ausst.Kat. Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Ostfildern 2001, S. 125.
12) Maisak, S. 165.
13) Martin Stather, Liebespaar in Arkadien, in: Brigitte Reinhardt (Hrsg.), Johannes Hüppi – Paarweise, Köln, 1999, S.50