Meinungsfreiheit vs. Staatsräson?
Streit über eine Antidiskriminierungsklausel – eine Zusammenfassung
von Jürgen Raap
Verbale Flapsigkeit war jahrzehntelang das Markenzeichen des TV-Moderators Thomas Gottschalk gewesen. Doch inzwischen habe der Unterhaltungskünstler zwangsläufig „einen Zweikampf mit dem Zeitgeist aufgenommen, er hadert damit, dass er öffentlich nicht mehr so ungeniert reden könne wie zu Hause“, so beschreibt die Süddeutsche Zeitung Gottschalks Befindlichkeiten im Jahr 2024.1
Weitaus ungenierter als dies für die heutige Zeit vorstellbar ist, ging es vor genau vierzig Jahren auch im deutschen Kunstbetrieb zu. Da konnte im Jahre 1984 Albert Oehlen es wagen, Adolf Hitler mit poppig-knallrotem Gesicht zu porträtieren, und im gleichen Jahr gab Martin Kippenberger einem seiner Bilder den Titel: Ich kann beim besten Willen kein Hakenkreuz entdecken. Oliver Zybok bescheinigte Oehlen und Kippenberger 2020, sie seien zwei Künstler, „die sich ironisch mit einem allzu eng gefassten Geschichtsbewusstsein befassten“.2
Das Auktionshaus Sotheby’s stellte in der Vorankündigung einer Versteigerung die beiden 2019 hingegen als „Bad Boys“ vor.
Bestimmte künstlerische Strategien als Mittel der (politischen) Provokation sind uns in der jüngeren Kunstgeschichte seit den Dadaisten der 1920er Jahre und seit Wolf Vostells Happenings in den 1960er Jahren vertraut, doch der Zeitgeist hat sich seit jenen unbekümmerten 1980er Jahren gründlich gewandelt.
Boykotts und Gegenboykotts
Empört wurde sich zwar auch früher immer wieder über provokante Kunst. Sogar der Papst missbilligte 1990 Kippenbergers gekreuzigten Frosch. Aber ein Vierteljahrhundert später verlaufen die Debatten über das, was noch gesagt und was – wenn schon, dann aber zumindest nur mit Triggerwarnung am Eingang zur Ausstellung – noch gezeigt werden darf, weitaus härter und intoleranter als…