MICHAEL HÜBL
Ólafur Elíasson.The Weather Project
Tate Modern, London, 16.10.2003 – 21.3.2004
Die technisch-apparative Herstellung von Emotion gilt üblicherweise als Sache des Films. It’s the movies that move you. Unter den Künsten besitzt nur der Film (inklusive seiner Weiterentwicklungen wie Datenhelm oder Cinemax) eine perfektionierte Suggestionsmaschinerie. Oft wird das fotografische Material mit musikalischer Untermalung (!) synästhetisiert, obschon allein die visuellen Mittel, die Cuts und Close Ups, vor allem aber die Beschleunigung der Bilder hinreichen, um auf physiologische und endokrinologische Prozesse im Biosystem des Betrachters einzuwirken, die dann als Empfindungen wie Traurigkeit, Lust, Angst, Freude wahrgenommen werden. Bei den vorindustriellen Künsten, wie etwa der Malerei, galt es lange als ausgemacht, dass die Fähigkeit, mittels eines spezifischen Mediums Gefühle auszulösen, einzig im Künstler liegt; zeitweise nannte man diese Fähigkeit Genie.
Ólafur Elíasson setzt weniger auf Genie als auf Eindeutigkeit des künstlerischen Instrumentariums und auf eine analytische Befragung der Abhängigkeiten, in die es eingebunden ist. Elíasson ist kein Maler, aber er rührt an Bereichen, die als Domäne der Malerei bekannt sind. Seine Installation “The Weather Project”, die er für die Tate Modern in London eingerichtet hat, ist eine exakte technische Konstruktion, gleichwohl evoziert sie eine Reihe von Bildern, die ihren festen Platz in der Malereigeschichte haben: Wenn man die hohe ehemalige Turbinenhalle durch den Haupteingang betritt und auf der Brücke, die den Raum quert, Menschen in die Betrachtung einer großen orangegelben Scheibe versunken sieht, mag man an Caspar David Friedrich denken. Wenn dann aus Düsen entlang der Wand Dampf ausströmt und das gelbe Licht dramatisch verschleiert, kann einem William Turner in den Sinn kommen, und wenn das leuchtende Rund in schmalen Facetten zu flimmern beginnt, dann liegt als Assoziation das Gemälde “Impression, soleil levant” nahe, das Claude Monet 1872 in Argenteuil bei Paris gemalt hat und das aufgrund der spöttischen Rezension des Kritikers Louis Leroy der ganzen Kunstrichtung den Namen gab.
Monet stand damals noch unter dem Eindruck seiner London-Erfahrungen und seiner Begegnung mit der Kunst Turners, bei der ihn nicht zuletzt die Nebel-Darstellungen faszinierten. Man hat sogar vermutet, dass Monets Bild auf Ansichten des Londoner Themsehafens zurückgeht, die James McNeill Whistler etwa gleichzeitig malte.1 Aber während Whistler seine Veduten als durchgängig diffuse weithin homogene Einheiten organisiert, in denen sich Kais und Kräne als schwache Schemen ausformen, operiert sein französischer Kollege mit zeichenhaften Kürzeln. Monet markiert die Fläche mit knappen horizontal ausgerichteten Pinselstrichen. Das heißt: Er liefert einen Zeichensatz, der es erlaubt, seine Malerei (die an sich nichts weiter ist als ein Farbgeflecht) semantisch aufzuladen und mit distinkten Bedeutungen zu verknüpfen (orangerote Striche stehen für morgendliches Sonnenlicht, schwarze für Wellen). Die Impression ist ein Konstrukt. Ólafur Elíasson potenziert diesen Sachverhalt. Mit dem “Weather Project” überträgt er ihn ins “Matrix”-Zeitalter.
Elíasson schafft keine Werke, sondern Situationen. Die sind so angelegt, dass sie als Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren deutlich werden. Einer von ihnen ist der Betrachter. Er bildet die gleichermaßen feste wie frei fluktuierende Größe innerhalb eines Systems, das als Kunst wahrgenommen wird, und zwar möglicherweise nur deshalb, weil es zu sensuellen und emotiven Regungen führt. Elíasson erzeugt Stimmung, und das Publikum reagiert, als ob genau das gemeint sei: “The Weather Project” war bald als Freizeitereignis etabliert. Die Tate Modern wurde zum Ort meditativen Staunens und kontemplativer Entspannung, der Industrie-Estrich avancierte zur Liegewiese, auf der das Publikum Platz nahm, um sich in der Betrachtung des eigenen Spiegelbilds zu verlieren, das hoch oben auf einer leicht vibrierenden Spiegeldecke als gerade noch identifizierbares Partikel in einer Art Menschengalaxie erscheint. Die Sinne sind offenbar dermaßen absorbiert, dass man sich vollständig der Wirkung des Gelblichts und des künstlichen Nebels hingibt, was zugleich eine Fülle möglicher Assoziationen vom romantischen Sonnenuntergang bis zum Zen-Signet mit einschließt.
Dabei ist jeder Effekt bis ins Detail durchgerechnet. Wie in Elíassons übrigen Arbeiten, so liegen auch beim “Weather Project” die Prämissen offen, unter denen die Installation entstand, und die Komponenten, aus denen sie aufgebaut ist, sind für jeden nachvollziehbar. Allein die gelbe Scheibe, die spontan als Sonne verstanden, besser: interpretiert wird, ist bei aufmerksamem Hinsehen rasch als Illusion ausgemacht. Die obere Hälfte der kreisrunden Form resultiert aus einer Spiegelung; nur den unteren Teil der “Sonne” hat Elíasson mit Lichtquellen bestückt, deren Frequenzbereich im übrigen so eng begrenzt ist, dass vom menschlichen Auge nur die Farben Gelb und Schwarz gesehen werden. Beide Erkenntnisse – die Vorgaukelung einer vollkommenen Kreisform und die Reduzierung des sichtbaren Spektrums – lassen sich aus den unmittelbaren Gegebenheiten deduzieren. Man kann sie aus dem, was man wahrnimmt, ableiten, obwohl man sich noch mitten in dem von Elíasson gestalteten Umfeld befindet, mithin einen Teil des inszenatorischen Gesamtzusammenhangs bildet. Elíasson hat sein Londoner Projekt jedoch nicht nur auf indirekte Erkenntnismöglichkeiten hin angelegt. Bei allem Dampf und Dunst, der die Turbinenhalle der ehemaligen Bank Side Power Station füllt, soll doch nichts vernebelt werden. Im Gegenteil: Es steht jedem Besucher der Tate Modern ausdrücklich frei, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen, um die Schaltungen, Verdrahtungen und Mechanismen zu begutachten, mit denen das gleichsam domestizierte Wettererlebnis in Betrieb gehalten wird.
Diese Maschinerie hat selbst Verweischarakter. Denn Elíasson beschränkt sich nicht darauf, zu demonstrieren, dass Kunst ein Konstrukt ist, das auf diversen Techniken und Verfahren basiert. Elíasson greift weiter aus. Er fragt generell nach den Konstruktionen, die das gesellschaftliche Dasein des Menschen bestimmen. Im Falle des “Weather Projects” hat er nicht zuletzt die Rolle der Institution Museum auf den Prüfstand gestellt, in dem er auch die publizistische Aufbereitung seiner Installation durch die Öffentlichkeitsabteilung der Tate unter die Lupe nahm. Wie “verkauft” man eine per se eher spröde technische Einrichtung? Wie wirken Methoden der Vermittlung auf die Rezeption zurück – ein aus heutiger Sicht nachgerade politischer Ansatz, wenn man das “sexing up” vager Geheimdienstberichte durch Alastair Campbell, seinerzeit Berater des britischen Premierministers Tony Blair, berücksichtigt. Bezogen auf das “Weather Project” ist das ein (so nicht intendierter) Nebenaspekt, der allenfalls belegt, dass Elíasson mit seiner Arbeit auf grundlegende Prinzipien zielt – bis hin zur Definition von Natur in einer durch und durch zivilisatorisch aufbereiteten Welt, bis hin zur Stellung der Wissenschaft und ihren normativen Einfluss, durch den sie unter anderem darüber befindet, was unter “Wetter” zu verstehen und wie etwa eine Klimaveränderung zu bewerten sei.
1.) s. Stephan Koja: Claude Monet. Katalog zur Ausstellung in der Österreichischen Galerie Belvedere, Wien. München/ New York 1996, S. 25.