Carmela Thiele
Räume der Imagination
Erinnerung als Thema und Methode der Zeichnung
Wer in seiner Erinnerung gräbt, stöbert Erfahrungen auf, die zuweilen auch andere angehen. Eine Methode für solche Tiefenbohrungen ist das Zeichnen. Für die promovierte Kunsthistorikerin und Künstlerin Barbara Camilla Tucholski, die sich seit Ende der 1980er Jahre mit dem Thema Erinnerung befasst, entsteht beim schnellen Zeichnen eine Art Trance, bei der sie sich gut vergessen kann. Ihre Serien polyperspektivischer Zeichnungen entstehen vor Ort, sind aber keine impressionistischen Bewegungsskizzen, vielmehr geht es der Künstlerin um eine allgemeine Dimension, um nichts weniger als „das Geheimnis des Daseins“1. Sie will Veränderung als Dauer zeichnen. Silke Schatz dagegen bricht architektonische, feste Strukturen auf, will Durchlässigkeit erzeugen. Durchsicht ist Wahrheit, sagt sie. Mit ihren aus der Erinnerung konstruierten Architekturzeichnungen will sie Transparenz schaffen, etwas „durchsichtig machen“. Über ihre zeichnerischen Verfahren, aber auch durch ihre explizite inhaltliche Beschäftigung mit dem Thema Erinnerung, stellen sich Tucholski und Schatz unweigerlich in den Kontext deutscher Geschichte und bilden deshalb den Schwerpunkt dieser Skizze. Aber auch Künstler, die vom deutschen Geschichtstrauma unberührt sind, wie William Kentridge und Tacita Dean verfolgen persönlich entwickelte zeichnerische Strategien, über die sie empfänglich werden für verschlüsselte oder verdrängte Botschaften, Einschreibungen, die nicht unvermittelt zu Tage treten. Sie bilden eine Brücke zu weiteren Überlegungen, Anknüpfungspunkten, die eine Einengung des Blicks auf deutsche Verhältnisse relativieren soll.
Erinnerung ist unzuverlässig, sie ist fragmentarisch und flüchtig, sagt die Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann, doch so ephemer sie erscheinen mag, so wichtig ist sie als Grundlage unserer Identität.2 Diese Aussage lässt…