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Ausstellungen: München · von Heinz Schütz · S. 283 - 286
Ausstellungen: München ,

München
Theaster Gates & Innenleben

Theaster Gates: Black Chapel 25.10.2019 – 19.07.2020
Innenleben 29.11.2019 – 29.03.2020

Haus der Kunst

von Heinz Schütz

Nach Museumsausstellungen wie „Black Madonna“, „Black Archive“ und „The Black Image Corporation“ installierte Theaster Gates nun im Haus der Kunst seine „Black Chapel“ und eröffnete sie mit den Exerzitien des von ihm gegründeten Musikensembles „Black Monks“. Anders als eine Sprachpraxis, die in antidiskriminierender Absicht darauf drängt „schwarz“ durch „afro-amerikanisch“ zu ersetzen, insistiert Gates auf „black“. „Black“ bezeichnet eine Hautfarbe und schließt, über das Biologistische hinausgehend, historische und politische, soziale und kulturelle Dimensionen mit ein. Noch heute ist Theaster Gates mit seiner Renovierung, Bewohnung und Bespielung des Hugenottenhauses als einer der eindringlichsten Künstler der documenta 13 in Erinnerung. Er hatte sein in Chicago realisiertes Projekt, leerstehende Häuser instand zusetzen, der Schwarzen Kultur zu widmen und öffentlich zugänglich zu machen, nach Kassel übertragen. Gates stand schon lange auf der Ausstellungsliste von Okwui Enwezor, er hatte sieben Jahre das Haus der Kunst geleitet und ist im März vergangenen Jahres gestorben. Wie reagiert nun Gates auf das durch seine nationalsozialistische Vergangenheit belastete Haus?

Der Architekt des Hauses Ludwig Troost wollte, ganz im Sinne Hitlers, ein der Deutschen Kunst geweihtes „aus der Seele des Volkes empfundenes“ Gebäude errichten und ihm über „edle Proportionen und gediegenes Material“ „den Charakter eines Tempels der Kunst“ verleihen. In diesem Sinne wurde die 800 Quadratmeter große, ehemalige „Ehrenhalle“ mit Marmor und Pfeilern gestaltet. Nachdem Gates zuerst die Absicht hatte, sich mit einem eingebauten, eigenständigen Raum von dieser Umgebung abzugrenzen, entschied er sich den „Kunsttempel“ zu besetzen und in eine „Schwarze Kapelle“ umzufunktionieren. Auf riesigen Werbetafeln rotieren nun Fotos selbstbewusster schwarzer Frauen. Die Fotos entstammen dem Archiv der Johnson Publishing Company und wurden in den 1945 respektive 1951 gegründeten schwarzen Leit- und Lifemagazinen Ebony und Jet veröffentlicht. In einer aufgesockelten Großvitrine steht wie um das Adjektiv „afro-amerikanisch“ auszubuchstabieren neben einem Berg angehäufter afrikanischer Masken als Kulturrelikte eine Reihe historischer Bücher mit Titeln u. a. über den obersten Gerichtshof und die US-amerikanische Verfassung, Instanzen, die Freiheit garantieren und doch Versklavung und Diskriminierung dulden. Über dem zentralen altarartigen Aufbau hängen alte, längst ausrangierte und von Gates archivierte Leuchtreklamen. Der sakrale Anspruch einer Kapelle bricht sich am Profanen: Models werden zu schwarzen Madonnen, statt Brot und Wein des Abendmahls, gibt es Reklame für gebratene Hühnchen und einen Rothschild Liquor Store, die rotierenden Kultberge aus Spiegelmosaik lassen an Diskokugeln denken und doch entfaltet sich ein heiliger Ernst, der in der Geschichte und nicht zuletzt im Religiösen wurzelt, im Religiösen als Zufluchtsort der Hoffnung und als eine Schwarze Kultur speisende Energiequelle.

Musik kommt in einer zweiten, im Archivraum des Hauses der Kunst eingerichteten Installation ins Spiel. Ein Video zeigt Jesse Owens, der mit vier gewonnen Goldmedaillen zum erfolgreichsten Athleten der 1936 in Berlin veranstalteten Olympischen Spiele wurde. Owens, der sich als schwarzer Athlet von Präsident Roosevelt offensichtlich schlimmer behandelt fühlte als von Hitler, vermisste in den Vereinigten Staaten die ihm gebührende Anerkennung, trotzdem zeigt Gates ihn nicht als diskriminiertes Opfer. Er präsentiert Jesse Owens um die 1.800 LPs umfassende Schallplattensammlung mit Jazz, Soul, Rhythm & Blues und setzt ihm über die von ihm gesammelte Musik ein Denkmal

 

Innenleben

Wie „Black Chapel“ kann auch die ebenfalls von Anna Schneider kuratierte Ausstellung „Innenleben“ mit dem postkolonialistischen Diskurs in Verbindung gebracht werden. Der Begriff „Innenleben“ lässt an Vorgänge in einem psychischen Raum denken. In der Ausstellung wird der Innenraum zum konkreten und symbolisch aufgeladenen Interieur, zu einem Raum, der wie die Innenseite eines Außenraums funktioniert und mit dem Außen auf unterschiedliche Weise korrespondiert. So zeigen die Bilder von Njideka Akunyili Crosby bewohnte Innenräume als einen Nukleus der Intimität und des Privaten, das hier nicht zuletzt über die ornamentartige Montage medialer Bilder konstruiert wird. Diese Konstruktion ist eng mit der Biografie der Künstlerin verwoben. Sie wird 1983 in Nigeria, in Enugu, geboren und studiert in den USA. Nach ihrem Abschluss 2011 an der Yale University of Art wird sie bald erfolgreich. 2016 ernennt sie die Financial Times zur „Frau des Jahres“. 2017 wird eines ihrer Bilder für drei Millionen Dollar versteigert. Renommierte Museen kaufen ihre Bilder an. Wie etwa auch bei Okwui Enwezor führt hier der Weg zur internationalen Kariere von Nigeria über die USA.

Entscheidender nun als der Erfolg, der von außen die Aufmerksamkeit auf die Bilder lenkt und sie gleichzeitig zum Börsenwert degradiert, ist für Akunyili Crosbys Kunst im intrakulturellen Gefüge, in dem sie sich als in den USA lebende Nigerianerin bewegt, einen eigenen Innenraum zu bewahren. Streng perspektivisch konstruierte Innenräume bestimmen ihre Bilder. Der darstellerische Realismus verleiht den Innenraumbewohnern fast greifbare Präsenz. Die schattenlosen Wände und Böden hingegen sind monochrome Flächen. Aufgeladen werden die Räume durch familiäre und vertrauliche Gesten, durch Sujets und Symbole, die auf Akunyili Crosbys ursprüngliche Heimat verweisen. Collagen aus transferierten nigerianischen Zeitungs- und Zeitschriftenbildern formen sich zum omnipräsenten, im Hintergrund wirkenden Ornament. Die Bewohner der Innenräume sind einander zugewandt und doch distanziert, wenn der einzige Weiße im Kreis von Schwarzen fokussiert wird. Mitunter verharren sie allein wie wartend und doch ruhig in sich gekehrt. Immer wieder richtet sich ihr Blick in die perspektivisch gestaffelte Bildtiefe wie in eine offene Zukunft.

Zeigt sich in den Bildern Akunyili Crosbys ein postkolonialistischer Zustand in einem versöhnlichen aber durchaus melancholischen Licht, lassen sich Skulpturen und Bilder der brasilianischen Künstlerin Adriana Varejãos, als Abrechnung mit kolonialistischer Gewalt verstehen, wobei nicht alle Objekte diese Lesart nahelegen. Wenn die Oberfläche von Bildern wie eine vertrocknete Erdkruste aufspringt, kann dies, jenseits der ästhetischen Wirkung, auf die Gegenwart bezogen werden. Wenn bei den Skulpturen hinter der glatten Oberfläche gemalter Kacheln – theatralisch-pathetisch – simuliertes blutrotes Fleisch hervorquillt, kann dies auch als Allegorie gelesen werden über Verdrängung oder die Brutalität, die hinter glatten, reinen Oberflächen lauert.

Historisch betrachtet sind Kacheln ein Erbe der portugiesischen Kolonialherrschaft. Sie dienen der Dekoration, aber auch dort, wo wie in einer Metzgerei Blut spritzt, der Reinlichkeit und Hygiene. In Anspielung auf die von den Kolonialherren verbreitete Unterstellung, indigene Völker seien Menschfresser, kehrt Varejãos den Vorwurf um. Auf einer gemalten Kachelwand wird eine Menschenmetzgerei, in der Menschenteile an Haken hängen, zum kolonialistischen Dekor. Der Begleittext zur Ausstellung weist in diesem Zusammenhang auf das viel zitierte, 1928 verfasste „ Manifest der Menschenfresserei“ des Mitbegründers des brasilianischen Modernismo Oswald de Andrade. Zur Herstellung der eigenen Identität empfiehlt er als Befreiung die Einverleibung und damit Transformation der dominanten europäischen Kulturformen.

Es mag eine allzu polemische Überspitzung sein, auch in der deutschen Wiedervereinigung kolonialistische Züge erkennen zu wollen. Eine Einverleibung des Ostens zumindest fand, von außen betrachtet, wohl statt, auch wenn sie sich von innen als Einverleibung von Westerrungenschaften vollzog. Als die Wende einsetzte machte die im Osten geborene Henrike Naumann eine grundlegende Erfahrung, die bis heute ihre Arbeit prägt: In kürzester änderten sich die Wohnungseinrichtungen, der politische Systemwechsel drang bis in die Wohn- und Schlafzimmer vor. Diesen Impuls aufgreifend arbeitet Naumann mit der Inszenierung von Möbeln und Interieurs, die eben nicht nur Design und Funktion sind, sondern auch wie versteckte politische Manifeste gelesen werden können.

Im Haus der Kunst zitiert sie mit „Ruinenwert“ Albert Speers Vorstellung, dass sich die Größe nationalsozialistischer Herrschaft auch noch in ihren Trümmern zeigen soll. Zu diesem Zweck führt sie ein vom Dritten Reich bis in die Gegenwart reichendes Einrichtungspanorama vor mit Möbeln, die auf Verbindung stehen. Man betritt die Ausstellungshalunterschiedlichste Weise mit dem Haus der Kunst in le durch Hitlers Kaminzimmer aus dem Obersalzberg während der Blick auf ein postmodernistisches Möbelgebirge am anderen Ende des Raumes fällt. Dazwischen changiert das Einrichtungsprogramm in allen nur erdenklichen Stilen. Mit einem Video greift Naumann kommentierend ein, die Kunst, die Möbel zum Sprechen zu bringen, obliegt den Betrachtern und Betrachterinnen.

In den Installationen der portugiesischen Künstlerin Leonor Antounes tritt das Politische in den Hintergrund. Ihre von der Decke hängenden, rhythmischen Farbfeldadditionen sind Raumteiler und konkrete Kunst in einem. Ihre im Treppenhaus installierten, von der hohen Decke fast bis zum Boden hängenden Metallröhren mit getrepptem Abschluss sind Kunst und Lampe, ein Licht im „Innenleben“.

Der Katalog: Interiorities. Njideka Akunyili Crosby, Leonor Antunes, Henrike Naumann, Adriana Varejão – ist ab März 2020 erhältlich, Prestel, 220 Seiten, 68 Abb., 39 Euro.

Der Katalog Theaster Gates: Black Chapel rrscheint im Verlag der Buchhandlung Walther König, mit Beiträgen von Romi Crawford, Anna Schneider und Hamza Walker im Gespräch mit Theaster Gates.

www.hausderkunst.org