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Titel: UTOPIA · von Ann-Katrin Günzel · S. 50 - 51
Titel: UTOPIA ,

UTOPIA

Weltentwürfe und Möglichkeitsräume in der Kunst
herausgegeben von Ann-Katrin Günzel

Kaum etwas scheinen wir derzeit dringender zu benötigen als Utopien – Ideen, Hoffnungen, Pläne, wie es weitergehen könnte, Wege in eine bessere Zukunft. Waren wir auch schon vor dem Ausbruch der Corona-Pandemie in einem post-futuristischen Zeitalter angekommen, so zeigt uns die aktuelle Krise doch seit über einem Jahr mit enormer Vehemenz, dass wir nicht nur auf dem falschen Weg waren, sondern auch in einer Sackgasse stecken. Inzwischen haben wir zwar begriffen, dass alles mit allem zusammenhängt – wir können die Pandemie nicht „bekämpfen“, wir können nur einsehen, dass ohne Umsicht gegenüber unserer Umwelt, ohne die Sorgfalt im Umgang mit allen Mitgliedern unserer Gesellschaft, mit den Meeren, den Wäldern, den Ackerflächen und den Tieren, keiner von uns gesund leben kann – doch folgen dieser Erkenntnis, solange Politik und Wirtschaft andere Interessen vertreten, noch nicht die entsprechenden Schlüsse. Die erhoffte Pause und Neuorientierung, die dem plötzlichen Stillstand hätte folgen können, ist ausgeblieben und nur wenige Impulse zur grundlegenden Verbesserung wurden wahrgenommen – wenn überhaupt. Nicht einmal der Klimawandel konnte aufgehalten werden, wie jetzt bekannt wurde. Statt konstruktiver Zukunftsgestaltung im Sinne neuer Utopien, sind vielerorts mit Pessimismus, (Existenz-)Angst und Wut Energien ausgebrochen, die sich impulsiv und rückwärtsgewandt mit der Forderung nach dem alten Zustand gegen die momentan als unerträglich empfundene Situation wenden. An diesem Punkt setzen Kunst und Kultur in den notwendigen (Zukunfts-) Gestaltungsprozess ein, indem hier Gedanken entstehen und alternative Weltentwürfe hervorgebracht werden, die den augenblicksbezogenen Fokus aufgeben, das Blickfeld weiten und Möglichkeitsräume öffnen. Sehnsüchte nach anderen Lebens weisen, von Effizienz streben befreite Ideen für ein neues Zusammenleben und konkrete Konstruktionen für alternative Behausungen in Krisengebieten, in denen Menschen aufgrund des Klimawandels ihre Heimat verlieren, werden sichtbar gemacht.

Im vorliegenden Band untersucht Gastherausgeberin Ann-Katrin Günzel einige dieser Utopien, die mitten in den post-futuristischen Zeiten erwachen, ja von ihnen hervorgebracht werden. In einem Rückblick auf die Geschichte der Utopie zeigt sich, dass fast überall und immer schon Vorstellungen von besseren Welten vorhanden waren, seien es Paradiese, ferne Galaxien oder (fiktive) Inseln, wie diejenige, die Thomas Morus schließlich 1516 namensgebend für alle folgenden Weltentwürfe mit „Utopia“ bezeichnete. Das Bedürfnis die herrschende Situation zu verbessern ist nicht an die Klimakrise oder die Coronapandemie gekoppelt, es ist universell. Für diesen Band hat Ruth Levitas, anhand ihrer Theorie der „Utopie als Methode“ untersucht, wie eine „neue Normalität“ und Veränderungen zum Besseren entstehen, Angela Krewani hat submarine Welten als Träger von Utopien betrachtet, die Räume jenseits des rationalen modernen Denkens bereitstellen und Catherine Nichols schildert das utopische Denken bei Beuys sowie dessen Impuls zur gesellschaftlichen Veränderung, deren Prozesshaftigkeit er als „permanente Konferenz“ bezeichnete. Die Aktualität der Frage danach, warum es gerade jetzt so wichtig ist, diese Welt, in der wir leben, zu einem besseren Ort zu machen und wie dieses von „nowhere to now- here“ gelingen kann, erläutern Bruno Latour und Peter Weibel anhand ihrer Ausstellung „critical zones“ im Interview mit Ann-Katrin Günzel, während Helga Müller im Gespräch mit der Gastherausgeberin berichtet, wie sie und ihr Mann, der Galerist Hans-Jürgen Müller, das noch immer bestehende Projekt MARIPOSA auf Teneriffa als konkreten Ort einer besseren Welt entworfen haben. Während Jonas Staal in seinen Projekten alternative Welten eines neuen gesellschaftlichen Miteinanders als Zwischenwelten zwischen dem Realen und dem Möglichen entwirft, zeigt das Portrait des Tänzers und Choreographen Ben J. Riepe, wie kraftvoll sich Utopien als Gesellschafts- und Weltentwürfe auf der Bühne entfalten können und Cao Fei berichtet im Gespräch über das Utopische in ihrem Werk und das Potential von Kunst, das individuelle Leben zu verändern. Wohin uns Utopien führen könnten, zeigt schließlich aktuell die 17. Architekturbiennale in Venedig. Unter der Fragestellung „Wie wollen wir leben?“ präsentiert sie Lösungsansätze, wie z. B. den hier besprochenen des Teams 2038, die in ihrem Beitrag für den Deutschen Pavillon einen Rückblick aus der Zukunft wagen, um anhand unterschied licher Projektideen zu dem beruhigenden Schluß zu kommen „es ist noch einmal alles gut gegangen!“.

von Ann-Katrin Günzel

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