Belgien feiert Jan van Eyck

6. Februar 2020 · Aktionen & Projekte

Die Belgier verstehen es, ihre berühmten Maler zu feiern. Nach Rubens 2018 in Antwerpen und Brueghel 2019 in Brüssel und Umgebung ist das Jahr 2020 Jan van Eyck in Gent gewidmet: „OMG! Van Eyck was here“. Oh mein Gott, welch Programm! Für van Eyck braucht es keinen kalendarischen Anlass; die Restaurierung der zentralen Bildtafel des Genter Altars (1432/1435) mit der Darstellung des „mystischen Lamms“ und ihre Rückführung in die St. Bavo-Kathedrale bietet Gelegenheit genug für die Festtage. Und die beginnen fulminant mit der Ausstellung „Van Eyck – Eine optische Revolution“ im Genter Museum für schöne Künste (MSK). Im Zentrum stehen die restaurierten Bilder der Altar-Außenflügel. Begleitet werden sie von dreizehn der insgesamt dreiundzwanzig bekannten Werke von Jan van Eyck, Arbeiten aus seiner Werkstatt und von Bildern seiner florentiner Zeitgenossen Masaccio, Fra Angelico, Uccello etc.

Die thematische Gliederung in dreizehn Kapitel macht den Gang durch die Bilderwelt Frührenaissance diesseits und jenseits der Alpen abwechslungsreich. Es geht um Sünde und Erlösung, Mutter und Kind, um Raum und Landschaft sowie die Entdeckung des Individuum, für die van Eycks Porträt-Malerei beispielhaft steht: Seine Frau Margarete, der Mann mit der blauen Kopfbedeckung, der Goldschmied Jan de Leeuw. Viele Werke kommen aus belgischen Museen: die großen Institute in Wien, Paris, Washington haben Leihgaben beigesteuert – wie die in ihrer Stofflichkeit und Materialtreue, aber auch in ihrer überhöhten Geistigkeit außergewöhnliche „Verkündigung“. Jan van Eyck, Hofmaler Philipp des Guten und in dessen Diensten auch in diplomatischen Diensten quer durch Europa unterwegs, wird als pictor doctus erkennbar, der Wissen und Erfahrung für sein Malerhandwerk nutzt – und den Weg der Kunst aus dem Mittelalter in die Neuzeit ebnet.

Ausgangspunkt für das erhellende Gipfeltreffen im MSK sind zwei noch zu restaurierende Tafeln des Altar-Innern, Adam und Eva, sowie die acht bereits restaurierten Paneele des Genter Altars: die Außenflügel mit der Verkündigung, den Stiftern Joos Vlijdt und Lysbette Borluut, mit Johannes dem Täufer und dem Evangelisten Johannes. Die seit 2016 in geduldiger Feinarbeit der Restauratoren unter Leitung von Hélène Dubois von Gilb, Verschmutzung und Übermalungen befreiten Bilder haben ihre ursprüngliche Klarheit und Leuchtkraft wiedergefunden. Alle Feinheiten der so realistischen wie detailfreudigen Malerei van Eycks sind wieder zu erkennen: zwischen dem Verkündigungsengel und Maria eine Stadt, auf die man durch Bogenfenster schaut, und daneben die symbolbeladenen Gegenstände in der schmalen Nische – die glänzende Kanne, Schale und ein makellosweißes Handtuch.

Die Johannesfiguren erscheinen wie aus Marmor gemeißelt, skulpturale Malerei. Johannes der Täufer ist der Stadtpatron von Gent, ihm war die Kirche vor dem Heiligen Bavo geweiht. Johannes der Evangelist ist der Verfasser der Offenbarung, der inhaltlichen Vorlage für das zentrale Altarbild in der Kathedrale. Die restaurierten Tafeln kehren nach Ende der Ausstellung im Mai in die Kathedrale zurück und werden wieder durch Panzerglas geschützt sein. So nah wie jetzt wird man ihnen nicht mehr kommen. Und man wird sie auch nicht mehr in der ursprünglichen Seitenkapelle sehen, deren Lichteinfall van Eyck so genial in dem Altarbild aufnimmt. Der Genter Altar soll in einer der Chorkapellen, an einem quasi außer-liturgischen Ort den Touristen präsentiert werden, mit eigenem Besucherzentrum, das im Oktober eröffnet wird.

Aufsehen erregt schon jetzt das „Lamm Gottes“, das nach der Restaurierung so gar nicht mehr Tier zu sein scheint (wenn auch durch sorglose Übermalungen mit surrealen vier Ohren). Jetzt schaut es fast wie ein Mensch aus dem Bild, als wolle es uns streng im Auge behalten. Chefrestauratorin Hélène Dubois gibt zu, dass sie nach Luft schnappen musste, als sie „die schockierende Schönheit“ des ursprünglichen Lammes unter den Übermalungen entdeckte. Die abenteuerliche Geschichte des noch immer rätselhaften Genter Altars wie auch eine kunsthistorische Einordnung von Jan van Eycks Schaffen, das soziale Umfeld der Zeit und vieles, was die Annäherung an das komplexe Werk des Malers erleichtert, ist in dem im Belser Verlag erschienen Katalog zu lesen. (69 Euro, Autoren u.a. Till-Holger Borchert, Jan Dumolyn und Maximiliaan Martens).

Zu den O-Mein-Gott-Veranstaltungen 2020 gehört ein Roboter-gesteuertes Klang- und Bilder-Spektakel des Briten Mat Collishaw in der Genter St. Nicolas-Kirche; die Uraufführung einer Komposition von Arvo Pärt, Graffiti-Touren und mittelalterliche Kochkünste. Die Nachbarstadt Brügge zeigt vom 12. März bis zum 12. Juli „Van Eyck in Brügge“ mit seiner „Madonna des Kanonikus Joris van der Paele“, die nicht nach Gent reiste. Und vom 24. September bis zum 10.Januar 2921 werden im Bozar Brüssel noch einmal die „Flämischen Primitiven“ unter die Lupe genommen: „Facing Van Eyck – The Miracle of the detail“. Das Stedelijk Museum voor Actuele Kunst (SMAK) in Gent widmet vom 7.März bis zum 31. Mai dem Genter Konzeptkünstler Kris Martin eine Ausstellung. Martins „Altar“ aus Corten-Stahl, der nach den Flügeln des Genter Altars gebaut, aber leer ist, gab 2014 den Blick auf das Meer vor Ostende frei. Jetzt steht er vor der Genter Bavo-Kathedrale. (Amine Haase)


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