Documenta-Streit spitzt sich zu

14. September 2022 · Kulturpolitik

Die Weigerung des kuratorischen Kollektivs ruangrupa, ein als antisemitisch eingestuftes Video aus der d 15 zu entfernen, wie es das Gremium zur wissenschaftlichen Begleitung empfahl und von den documenta-Gesellschaftern (Stadt Kassel, Land Hessen) ebenfalls befürwortet wird, stößt in der Politik und der Medienöffentlichkeit auf harsche Kritik. Dabei geht es auch um die aufgeheizte Tonlage in dem Offenen Brief, mit dem ruangrupa reagierte: Nicole Deitelhoff, die Vorsitzende des Begleitgremiums, wird vom NDR mit den Worten zitiert: „Die Härte, aber nicht die Richtung ihrer öffentlichen Reaktion hat mich jetzt überrascht.“ Das Ausschwitz-Komitee spricht mittlerweile von einer „Documenta des Zynismus“, denn „allen antisemitischen Entgleisungen zum Trotz“ ließe man in Kassel „lieber die Kasse klingeln“. Christoph Heubner, der Exekutiv-Vizepräsident des Internationalen Auschwitz-Komitees, wirft ruangrupa vor, das Kollektiv habe „die große Mehrzahl der Künstlerinnen und Künstler für eine antisemitische, antizionistische und antiisraelische Inszenierung missbraucht“. Ähnlich klingt es auch aus anderen Mündern:
„Dass… auf der Documenta weiterhin antisemitische Kunstwerke ausgestellt sind, wie etwa eine Videocollage aus pro-palästinensischen Propagandafilmen, in denen Israelhass und die Glorifizierung von Terrorismus legitimiert werden, offenbart, dass die künstlerische Leitung bislang aus den nun inzwischen seit Monaten währenden Diskussionen und Debatten um Antisemitismus scheinbar nichts gelernt und wenig verstanden hat“, empörte sich Felix Klein, Antisemitismusbeauftragter der Bundesregierung, gegenüber der „WAZ-Westdeutsche Allgemeine Zeitung“. In Focusonline polterte Ulrich Reitz: „Die Kunstschau, die sich gerne die wichtigste der Welt nennt, hat gezeigt, was – auf Kosten der Steuerzahler übrigens – heute in Deutschland alles so möglich ist. Zum Beispiel, das Künstler ungestraft behaupten können, dass, wer judenfeindliche Kunst antisemitisch nennt, ein Rassist ist… Die Künstler wollen sich von Kritik freistellen, indem sie die Motive der Kritik als Unterdrückungsversuch durch den ‘weißen’ globalen Norden brandmarken“. Reitz findet „diese Methode der Selbstimmunisierung… links-totalitär“. Damit hat die Debatte um die Eklats auf der d 15 noch einmal an Schärfe gewonnen. „Wir waren alle zu leise“, Warnungen vor judenfeindlichen Kunstwerken seien zu lange ignoriert worden, meint der SPD-Politiker Helge Lindh in einem Interview mit „Spiegel Kultur“. Um so mehr spitzt sich die Debatte jetzt gegen Ende der d 15 zu. Die Kunsthistorikern Dorothee Richter widerspricht ihrem Kollegen Philippe Pirotte, der behauptet hatte, „die Antisemitismusvorwürfe gegen Arbeiten auf der documenta fifteen seien eine Instrumentalisierung, ‘um das Projekt zu diskreditieren’“ und wirft ihm eine „krasse Verdrehung“ vor: „Ich habe den Antisemitismus als einen Schlag ins Gesicht empfunden, und ich denke, das ist vielen, die aus dem antifaschistischen Lager kommen, genauso gegangen. Wir haben immer gegen Rassismus und Antisemitismus gekämpft und gegen toxische und soldatische Männlichkeit Stellung bezogen.“

Dazu in Band 283 erschienen:


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