Tabubruch

12. August 2015 · Kulturpolitik

Der WDR ist die größte öffentlich-rechtliche Sendeanstalt in Deutschland. Zu seinem Vermögen gehört auch eine Sammlung von etwa 600 Kunstwerken, zumeist aus den Jahren 1956 bis 1965. Das sei aber keine „zielgerichtet aufgebaute Sammlung“, sondern eine „Ansammlung von Bildern, Fotos, Skulpturen und Drucken“ – ein Konvolut, das im Laufe der Jahre zusammen gekommen sei. Die meisten hätten einen Wert von 5.000 Euro; ein Verkauf würde sich wirtschaftlich nicht lohnen. Doch für einige Filetstücke will der Sender im Zuge seiner Sparmaßnahmen im Frühjahr 2016 das Auktionshaus Sotheby’s mit einer Versteigerung beauftragen. Vier Werke davon hätten einen Wert jeweils im sechs- bis siebenstelligen Bereich. 1956 kaufte der WDR ein Bild von Ernst-Ludwig Kirchner für 600 DM, heute liegt sein Wert bei knapp einer Million Euro. Da auch Werke von Beckmann, Nolde oder Kokoschka zu der Sammlung gehören, lässt sich ihr Wert auf insgesamt 3 Mill. Euro taxieren. WDR-Intendant Tom Buhrow wurde für seine Absicht bereits von der Kulturstaatsministerin Monika Grütters gerüffelt: das Vorhaben sei „rücksichtslos gegenüber der Kunstgeschichte, gegenüber der eigenen und der Sammlungsgeschichte des Rheinlandes und gegenüber der Öffentlichkeit“. Sie sei irritiert darüber, „wie hemmungslos auch hier Kunstwerke zu reinen Spekulationsobjekten degradiert werden“. Immerhin sind die Werke, die jetzt zur Disposition stehen, mit Geld aus den Rundfunkgebühren angekauft worden. Dass die Eigentümer öffentlichen Kulturbesitzes in den Kunsthandel eingreifen, war in Deutschland bislang ein Tabu. Anders als in den USA, wo die meisten Museen privatwirtschaftlich organisiert sind, ist hier zu Lande der größte Teil der bedeutenden Kunstsammlungen in der öffentlichen Hand konzentriert. Wenn Politiker auf die Idee kommen, Haushaltslöcher durch Kunstverkäufe stopfen zu wollen, oder wenn – wie kürzlich in NRW geschehen – ein landeseigener Spielbankbetreiber seine Bilder im Roulette-Casino abhängen will, um sich finanziell zu sanieren, regt sich lautstarker Protest. Doch im Zuge einer seit den 1980er Jahren immer stärkeren Kommerzialisierung des Kunstbetriebs und mit Rekordmeldungen über zweistellige Millionenerlöse bei Auktionen werden Begehrlichkeiten geweckt und die Hemmschwelle sinkt. Den ersten Tabubruch in Deutschland beging das Kunstmuseum Bonn, als es 1999 mit der Ausstellung „Zeitenwenden“ ein Minus von fast zwei Millionen DM nur ausgleichen konnte, indem es auf seinen Ankaufsetat zurückgriff und außerdem ein Baselitz-Werk verkaufte. Nicht besonders glücklich sind auch die Kölner Auktionshäuser mit der Absicht des Intendanten Buhrow, die Sammlung 2016 in London zu versilbern. Die „Kölnische Rundschau“ zitierte Markus Eisenbeis vom Kölner Auktionshaus van Ham, bei einer Versteigerung in der Domstadt hätten mehr Sammler aus NRW versucht, „sich ein Stück WDR ins Haus zu holen“. Auch Henrik Hanstein vom Kölner Kunsthaus Lempertz ist laut „Kölner Stadtanzeiger“ der Ansicht, eine Auktion in Köln würde „mehr“ einbringen. Der Kunstjournalist Walter Vitt hingegen, der für den WDR seinerzeit mit einem Jahresetat von 40.000 Euro Ankäufe tätigen durfte, schlägt vor, die Sammlung für die Öffentlichkeit in eine Stiftung zu überführen. Yilmaz Dziewior, Direktor des Museums Ludwig Köln, fordert ebenfalls, den geplanten Verkauf zu „unterbinden“. NRW-Kulturministerin Ute Schäfer (SPD) kündigte eine Prüfung an, ob einzelne Werke der Sammlung als „nationales Kulturgut“ einzustufen seien – dann wäre ein Verkauf ins Ausland ausgeschlossen.


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