Die Toten kommen

18. Juni 2015 · Aktionen & Projekte

Organisiert ist die 70köpfige Berliner Menschenrechts- und Aktionskünstlergruppe wie eine Regierung: Nina van Bergen tritt als „informelle Bundeskanzlerin“ auf, Stefan Pelzer ist „Eskalationsbeauftragter“. Schlagzeilen machte das Berliner Zentrum für Politische Schönheit im vergangen Jahr, als die Gruppe um den Theaterregisseur Philipp Ruch zum 25. Jahrestag des Mauerfalls die Mauerkreuze aus dem Regierungsviertel an die europäischen Außengrenzen entführte. Dort habe die „Festung Europa“ eine neue Mauer errichtet. Für die aktuelle Aktion recherchierte das Zentrum nun an den Außengrenzen der EU auf italienischen Inseln, im griechischen Hinterland und in zwei nordafrikanischen Staaten. Tausende von Flüchtlingen sind in den letzten Monaten im Mittelmeer ertrunken, doch was kaum jemand weiß: „An den Außengrenzen werden Leichen verscharrt, monatelang in Kühlhäusern gelagert, vergessen und in anonyme Massengräber gestapelt“, hat die Initiative beobachtet. Daher überführt das Zentrum für Politische Schönheit jetzt „tote Einwanderer Europas nach Deutschland. Gemeinsam mit den Angehörigen der Opfer hat das Künstlerkollektiv unwürdige Grabstätten geöffnet und die Toten von der Peripherie ins Zentrum Europas gefahren. Die Opfer der Abschottungspolitik werden im mächtigsten Mitgliedsstaat der EU vor den Augen der europäischen Öffentlichkeit menschenwürdig bestattet.“ Die spektakuläre Aktion „Die Toten kommen“ wird allerdings kontrovers diskutiert : Volker Beck z.B., Bundestagsabgeordneter der Grünen, findet die Überführung von Flüchtlingsleichen nach Berlin „befremdlich und pietätlos“. Elke Buhr kommentierte in der Kunstzeitschrift „Monopol“, die „selbstgefällige Rhetorik“ der Gruppe sei „irritierend“, denn sie ginge „mit dem Holzhammer vor, was dem Ziel, den Toten an den Grenzen Europas ihre Würde wieder zu geben, nicht unbedingt entspricht.“ Trotzdem bilanziert die Kritikerin: „Das Zentrum für Politische Schönheit verdient unsere Unterstützung. Denn nichts ist brutaler und zynischer als der Tod, den die Menschen im Mittelmeer sterben bei dem Versuch, die Festung Europa zu erreichen. Leichensäcke vor dem Bundeskanzleramt – das Bild ist stark.“ Mit ähnlichem Tenor schreibt Joerg Wellbrock im Blog „Der Spiegelfechter“, die Aktion zeige „die Pietätlosigkeit und die Menschenverachtung auf, die für uns zur alltäglichen Normalität geworden ist. Wir sehen immer nur kurz hin, in den Nachrichten im Fernsehen, den Headlines der Medien, lauschen geistesabwesend den Meldungen im Radio. Dann, ganz schnell: genug davon, sprechen wir doch lieber über 50-Euro-Fragen bei Günther Jauch…“ www.die-toten-kommen.de.


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