Chiharu Shiota
Hoffen, dass Hoffen wieder hilft
Ein Gespräch von Heinz-Norbert Jocks
Spätestens seit ihrem Auftritt auf der 56. Biennale in Venedig 2015 hat sich die 1972 im japanischen Kishiwada geborene Performance- und Installationskünstlerin Chiharu Shiota mit ihrem Beitrag im japanischen Pavillon an die Spitze der Kunstwelt katapultiert. Mit Booten, über die sich ein Regen aus Schlüsseln ergoss, hat sie nicht nur das kollektive Weltbewusstsein angezapft, sondern auch eine Flut an Assoziationen und Gedanken ausgelöst. Mit Fäden, die sich zu Netzen verspinnen, misst sie nicht nur Räume aus, die sich zu einem Universum weiten. Wie Tomás Saraceno macht sie auch sichtbar, dass der Mensch ein kollektives Wesen, jeder auf jeden angewiesen ist. Zudem geht sie, die zwei schwere Schicksalsschläge erlitt, mit Verve einem Leitmotiv nach. Sie erkundet Wege, die Abwesenheit von Menschen zu kompensieren, indem sie deren geistige Anwesenheit durch Hinterlegen von Spuren suggeriert.“
Heinz-Norbert Jocks: Wie verlief dein Weg zur Kunst?
Chiharu Shiota: Schon als Zwölfjährige wollte ich unbedingt Künstlerin werden, an diesen Traum habe ich festgehalten. Anfangs ohne Unterstützung meiner Eltern. Für sie standen meine Brüder an oberster Stelle. Weil sie Männer sind, waren ihre Erwartungen an deren Zukunft vorrangig. Das hatte den Vorteil, dass ich nicht unter ihrer Beobachtung stand und ziemlich frei und unbeschattet meinen eigenen Lebensweg wählen konnte. Schon als Kind zeichnete ich gerne und war darin besser als andere in meinem Alter. Damals mochte ich Van Gogh, weil meine Mutter mich mit in ein Van-Gogh-Museum nahm, und Dali, dessen Bild „Die Metamorphose des Narziss“ mir…