Elisabeth Vary
Konkretion und Imagination
von Reinhard Ermen
Wie die Buchstaben eines Wortes, die Worte eines Satzes stehen die Zeichen auf der Wand, oft genug sind sie ineinander verschränkt. Ein Element ist auf das andere bezogen, selbst wenn nur ein Buchstabe / Wort auftritt (was eher selten geschieht), entwickelt sich ein Verhältnis zur Umgebung. Von den hohen Kanten strahlt schon mal indirektes Farblicht auf die Wand und bildet einen sanft leuchtenden Hof um das entsprechende Objekt. Ein skulpturaler Aspekt wird angesichts der offensichtlichen Dreidimensionalität gerne beschworen, trotzdem springt zuallererst der Eindruck von Malerei schlechthin ins Auge. Elisabeth Vary fasst die von ihr gesetzten Körper mit Farbe an. Jede der hier zur Verfügung stehenden Flächen hätte das Zeug zu einem eigenständigen Bild, so intensiv sind sie malerisch durchdrungen.
Sie leuchten, ja manchmal stehen sie geradezu in Flammen, Farben brechen auf, geschichtete, fast schon monochrome Teilstücke dialogisieren mit changierend verwischten Gründen, manchmal gibt es sogar Streifen wie bei einem konventionellen, abstrakten Bild. Eins scheint aufs andere zu reagieren, die malerischen Projektionsflächen untereinander genauso wie die einzelnen Bildkörper zueinander auf der Wand. Vielleicht gibt es Hauptansichten der Farb- und Formbegegnungen, ideale, gleichsam königliche Blickachsen. Doch wer bestimmt, wo die aufzusuchen sind? Die Reproduktionsfotographie bevorzugt jedenfalls mehrere Ansichten einer Arbeit, die mit einem Blick nicht zu überschauen ist. Manches korrigiert sich im allmählichen Nachdenken; der schnell gegriffene Eindruck von Wortgebilden etwa. Denn eine Semantik gibt es in diesen Satzteilen nicht, es sei denn man akzeptiert einen Text über Malerei, Farbe und Raum, der in diesem Sinne primär…