Fragen zur Zeit · von Michael Hübl
Fragen zur Zeit , 2010

Michael Hübl
Das verlorene Versprechen

Eine Ode auf Lars von Triers Film „Antichrist“ als Quantensprung in die Regression

Ein ebenso kurzes wie des Langen und Breiten interpretiertes Gedicht Bertolt Brechts gibt beiläufig zu erkennen, wie das Alte in das Neue hineinwirkt. Es zeigt, wie etwas, das bereits Historie ist, sobald es aufgegriffen wird, der Gegenwart gleichsam in die Quere kommt und ihr eine Irritation zufügt, die sich schwer ignorieren lässt. „Beim Lesen des Horaz“ 1 hat der Schriftsteller und Regisseur seinen epigrammatischen Text genannt – sechs knapp gefasste Zeilen, keine länger als sechs Silben, und nirgends steht der Name des Quintus Horatius Flaccus, kurz: Horaz. Selbst das Werk oder die Aussage des antiken Dichters, auf die sich Brecht bezieht, geben der Forschung Rätsel auf. Unabhängig davon aber, ob Brecht auf die „Oden“ rekurriert, wie ein Teil der Literaturwissenschaft meint, oder ob er auf die „Episteln“ anspielt, wie ein anderer Teil vermutet – auf jeden Fall (so zumindest suggeriert der Titel) gab die Lektüre einer Schrift von Horaz den Anstoß zu einigen poetisch verschlüsselten Reflexionen, die zwar an keiner Stelle unmittelbar auf die Entstehungszeit des Gedichts zu sprechen kommen, aber doch mit jeder Silbe die damals, Mitte der 1950er-Jahre und mitten im Kalten Krieg, aktuelle Lage in Worte zu kleiden scheinen.

Beim Blättern in einem Katalog mit Arte povera und Minimal Art 2, erhält man „Einblicke in die Sammlung Lafrenz“ (so zumindest verspricht der Titel), erfährt man in sinnlicher Direktheit einen Zeitsprung und gelangt wie nebenbei in die Post-Bush-After-Lehman-Ära. Zum Beispiel Sol…


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