60. Venedig Biennale: Gespräche
Gülsün Karamustafa
Eine Welt der hohlen Säulen
Sabine B. Vogel: Sie haben in Istanbul und Berlin studiert, lange an der Kunstakademie in Wien gelehrt und gelten als eine der politischsten Künstler*innen der Türkei, die immer wieder Themen wie Entwurzelung und Erinnerung, Migration und kulturelle Unterschiede aufgreift. Wussten Sie sofort nach der Einladung, was Sie in dem Türkei Pavillon zeigen wollen?
Gülsün Karamustafa: Ich kenne den Pavillon zwar schon seit Jahren, aber ich musste den erst leer sehen und habe mich in die Mitte gestellt. Die Größe dieses Rechtecks ist gewaltig, das sind 45 Meter in der Länge, 12 Meter in der Breite! Ich habe mich wie im Hippodrom in Istanbul gefühlt, dieser antiken Pferderennbahn. Dadurch kam ich auf die Idee mit den Säulen. Und irgendetwas sollte von der Decke kommen. Im Internet habe ich diese leeren Säulen gesehen – das war’s! Das passte zu meiner Stimmung, der Zustand der Welt ist gerade schlimm. All die Kriege, das katastrophale Erdbeben im Südosten der Türkei letztes Jahr, Migration, nukleare Gefahren. Die Welt ist ein Schlachtfeld. Die Menschheit ist bedroht, die Natur wird verwüstet und die Umwelt macht krank. Wir gehen von einer Krise in die nächste. Unsere Welt scheint bis ins Mark ausgehöhlt.
Beziehen sich auf diesen unstabilen Zustand der Welt die roten Gestelle, die die Säulen stützen?
Die leeren Säulen werden in China produziert für die neuen, kitschigen Gebäude überall auf der Welt, auch in Istanbul. Säulen repräsentieren historisch Macht und auch Ruhm. Die Leere kontrastiert mit der…