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Gespräche mit Künstlern · von Doris von Drathen · S. 202 - 215
Gespräche mit Künstlern , 2003

NIELE TORONI
UNSERE VORSTELLUNGEN WERDEN UNS KEINE NEUEN WEGE ÖFFNEN

EIN GESPRÄCH MIT DORIS VON DRATHEN
(in seinem Pariser Atelier am 19. März 2002)

Im Atelier gibt es kein Telefon. Die kleine aufgebockte Holzplatte, die als Schreibtisch dient, ist leergeräumt. Zwei Holzschemel reichen. Die Industriebücherborde sind vollgestellt, aber nicht übervoll. Die Fenster dieser zwei Arbeitszimmer in der zweiten Etage eines Mietshauses am Fuß von Montmartre gehen in die Hinterhöfe und in einen großen Himmel. Stille und Licht, das ist für Niele Toroni entscheidend. Nach einem langen Gespräch zur Frage, ob es möglich ist, einer Sinngebung, einer Geschichte, einem Bild zu entkommen, steht der Maler auf, greift nach einer Rolle von Lappen aus dem obersten Regal und breitet sie auf dem Boden aus. “Das ist die Kehrseite meiner Arbeit”, sagt er, “aber die gehört dazu, eines Tages wird meine Frau sie in meinem Vermächtnis finden”. Die Tücher sind über und über mit Farbabstrichen bedeckt – roten, grünen, violetten, blauen, weißen, braunen, schwarzen Spritzern, Schlieren und Flecken; das Wirrwarr der Farbkrusten krümpelt bunt die Tücher, hier und da sind sogar Zeitungsschnitzel zu entdecken. Die andere Seite – das sind diese Lappen, die dem Pinselabdruck Nr. 50, nämlich dem alltäglichen Anstreicherpinsel von 50mm Breite, den Rücken freihalten.

Seit Ende der 60er Jahre setzt Niele Toroni den Pinsel der Nr. 50 in einem Abstand von 30 Zentimetern auf die Wand, und zwar so, dass er von unten nach oben abgedrückt wird. Je nach Untergrund und Verteilung, die ersten Arbeiten entstehen auf langen Bahnen von Wachstuch, dann erst…


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von Doris von Drathen

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