Bilderstürmerei und Identitätspolitik - Streit in der Kolonialismusdebatte

22. Juni 2020 · Kulturpolitik

Die nord-niederländische Stadt Hoorn am Markermeer war bislang vor allem durch den Beemster-Käse bekannt, der als regionale Spezialität in jenem Landstrich gilt. Dass auch Jan Pieterszoon Coen (1587-1629) dort seine Wurzeln hat, geriet erst jetzt mehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit, als Protestler gegen das Denkmal für ihn in Hoorn demonstrierten, wobei nach Ausschreitungen die Polizei 12 von ihnen festnahm. Als Generalgouverneur der Vereenigde Oostindische Compagnie gilt Coen als Begründer der Kolonie Niederländisch-Indien, wobei er 1619 die Stadt Jakarta an der Nordküste von Java nieder brennen ließ: „Wir können den Handel nicht treiben, ohne Krieg zu führen“, war das Credo seiner polit-ökonomischen Strategie. Landauf-landab werden derzeit umstrittene Denkmäler attackiert: „Sogar Gandhi steht mittlerweile in der Kritik“, zürnt „Focus“ und lässt seinen Kommentatoren Jan Fleischhauer zu Wort kommen: „Was mich daran stört, ist die moralische Selbstüberhöhung der jüngeren Generation“. Bei manchen historischen Figuren wie ausgewiesenen Sklavenhändlern sei es sicherlich angebracht, dass sie von öffentlichen Plätzen verschwinden. Doch wo solle die Grenze verlaufen? Dass auch ein Bismarck-Denkmal aus dem Jahre 1898 in Hamburg-Altona besudelt wurde, hält z.B. der Historiker Ulrich Lappenküper für absolut unangemessen, denn Bismarck habe der Kolonialpolitik zunächst „bemerkenswert reserviert gegenüber gestanden“ und später nur deshalb „aktive Kolonialpolitik“ betrieben, um auf der Kongo-Konferenz 1884/85 einen machtpolitischen Ausgleich mit Frankreich zu erreichen – dies allerdings auf Kosten der Afrikaner. Dennoch warnt Lappenküper: historische Personen solle man nicht „mit Kategorien von heute… bewerten.“ Der Publizist Jakob Augstein hält in Sachen Bismarck-Denkmal dagegen: „Solche Denkmäler gehören abgeräumt… warum müssen wir den Militarismus damit verherrlichen?“ Während Kulturstaatsministerin Monika Grütters vor „rabiaten Spontanaktionen“ warnt und dafür plädiert, einem derartigen „Bildersturm“ müssten „Debatten in der Bevölkerung vorausgehen“, entsetzt sich der Kolumnist Harald Martenstein im Berliner „Tagesspiegel“: „Nie hätte ich es für möglich gehalten, dass in Virginia eine Statue des Seefahrers Christoph Kolumbus gestürzt wird.“ Martenstein weiter: „Das liberale Wertesystem landet gerade auf dem Sperrmüll, Ideen wie: gleiches Recht für alle. Man muss in Debatten immer auch die andere Seite hören. Es ist okay, friedlich für politische Veränderungen einzutreten.“ „Strukturelle Benachteiligung, Diskriminierung und Rassismus gegen Schwarze und PoC vergiften auch Deutschland“, stellt unterdessen die Bundestagsfraktion von Bündnis 90 die Grünen fest, doch Martensteins Plädoyer für eine friedliche Lösung von Konflikten zum Trotz sind gerade bei Reizthemen wie Migrationspolitik, Klimapolitik und Rassismus die Fronten zwischen Links und Rechts extrem verhärtet, ist die Gesellschaft bei diesen Themen zutiefst gespalten. Dazu schrieb Michael Sommer in „Cicero“: „Warum ist Identitätspolitik so brandgefährlich? Weil sie, anstatt auf die Solidarität der Mehrheitsgesellschaft zu setzen, an ihr schlechtes Gewissen appelliert. Weil sie, statt die auseinanderdriftenden Segmente der Nation zusammenzuführen, Gräben aufreißt“. Und er meint über „die Bürgergesellschaft des Nationalstaats”:”Ihr Fundament, die Rechtsgleichheit der Bürger, garantiert nicht Verteilungs- und nicht einmal Chancengerechtigkeit. Sie aber ist, lassen wir uns nicht täuschen, all ihren Defekten zum Trotz Voraussetzung für etwas noch Wichtigeres: die liberale Demokratie. Ihr Verschwinden wäre der erste Kollateralschaden des identitätspolitischen Neo-Tribalismus.“ Zum Streit um das Coen-Denkmal in Hoorn kommentierte die „FAZ“ süffisant, nach Coens Willen hätte die neue Kolonie auf Java eigentlich „Nieuw-Hoorn“ heißen sollen, doch die Ostindische Kompagnie entschied sich dann für den Namen „Batavia“ und so habe Coen seiner „Vaterstadt Hoorn die zweifelhafte Ehre einer pompösen Kolonialgründung“ erspart.
„Doch wie wir schon bei Nieuw-Amsterdam (heute etwas bekannter unter dem Namen New York) sehen: Koloniale Namensgebung ist fast so wandelbar wie das moralische Urteil der Nachwelt. Ein Grund, zu verzweifeln, ist das nicht.“


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