Claudia Roth legt Rechtsgutachten zur künstlerischen Freiheit vor

25. Januar 2023 · Kulturpolitik

Kulturstaatsministerin Claudia Roth hatte nach den Skandalen um die documenta 2022 bei dem Rechtswissenschaftler Christoph Möllers ein Rechtsgutachten zur künstlerischen Freiheit in Auftrag gegeben. Möllers gelangt in seinen Ausführungen über „Grundrechtliche Grenzen und grundrechtliche Schutzgebote staatlicher Kulturförderung“ zu dem Ergebnis, dass die Freiheit der Kunst „auch in Fällen rassistischer oder antisemitischer Tendenzen im Rahmen der Verhältnismäßigkeit vor staatlichen Zugriffen schützen“ könne. Zwar gäbe es eine „staatliche Pflicht, Kulturinstitutionen grundsätzlich und in spezifischen Konstellationen etwa vor Antisemitismus zu warnen“. Aber letztlich gilt, wie es Claudia Roth in ihrer Stellungnahme zu dem Gutachten ausdrückte: „Ein wichtiger Punkt in diesem Gutachten, das die Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Eingriffsmöglichkeiten bei öffentlichen Förderungen auslotet, ist, dass es grundrechtlich kategorisch ausgeschlossen sei, künstlerische Programme einer staatlichen Vorab-Kontrolle zu unterwerfen“. Eine Vorprüfung, wie sie der Zentralrat der Juden gefordert hatte, wäre mithin bei der d15 unzulässig gewesen. Gleichwohl betont die Kulturstaatsministerin: „Die antisemitischen Vorfälle bei der documenta fifteen hätten nicht passieren dürfen… Der hohe Wert der Kunstfreiheit enthebt uns in der Politik, in Bezug auf den Staat und die Gesellschaft niemals von der Verpflichtung, mit allen Kräften gegen Antisemitismus, Rassismus und Menschenfeindlichkeit vorzugehen…“ Interessant ist Möllers’ Hinweis, dass bei solchen Ausstellungen nicht „das Exponat selbst“ entscheidend sei, sondern die „kuratorische Haltung“. Mit welchen kuratorischen Intentionen wird in einer konkreten Ausstellungssituation ein Kunstwerk inszeniert bzw. kontextualisert? Es hat z.B. in der Vergangenheit Fälle gegeben, bei denen sich Künstler oder Künstlerinnen auf das „Entstellungsverbot“ im Urheberrecht berufen und sich gegen eine „sinnentstellende“ Präsentation ihrer Werke gewehrt hatten. Christoph Möllers urteilt, eine Klärung der kuratorischen Haltung „vonseiten des Staates von der künstlerischen Leitung einzufordern verletzt deren Kunstfreiheit nicht.“ Wenn in Exponaten z.B. antisemitische Inhalte verbreitet werden, käme es darauf an, ob es eine kuratorische Distanzierung gibt oder eben nicht. Solche Inhalte, wie sie bei der d 15 moniert wurden, „könne der Staat… im Kontext der Ausstellung einordnen“. So hatte es ja an einem Ausstellungsort in Kassel eine erläuternde Hinweistafel gegeben – an einem Bauzaun vor dem Eingang. Grundsätzlich aber gehöre ein „Widerspruch… zu anerkannten politischen oder moralischen Normen“ als eine „Form des künstlerischen Skandals“ zu einer „eingeübten Praxis der Kunstfreiheit“. Möllers: „Ideen einer großen Lösung, die ein für alle Mal mit diskriminierender Kunst fertig werden will“, passen „nicht in den Rahmen des Grundgesetzes.“

Dazu in Band 281 erschienen:


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