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Relektüren · von Rainer Metzger · S. 330 - 331
Relektüren ,

Relektüren
Folge 53

Rainer Metzger

„Grüsse Sie“: Wer kennt sie nicht, die Adresse des Herrn Ober an den Gast in einem Wiener Caféhaus. Die beiden kargen Worte beinhalten alles, was die Spezies so besonders macht in der Kulturgeschichte, Unterwürfigkeit und Verachtung, Beflissenheit und stete Bereitschaft zur Denunziation und ganz hinten rechts womöglich auch noch so etwas wie Freundlichkeit. In jeder Serife jedes Buchstabens dieser Anrede steckt Wien, wie es leibt und lebt. Eines aber steckt nicht in diesen Buchstaben: Buchstäblichkeit. Versuchen wir es, durchaus banal, damit: Hinter der Grußformel steckt Höflichkeit. Das ist eine uralte Kulturtechnik, und sie lebt von der Unterstellung. Davon, dass ein doppelter Boden eingebaut ist und derjenige, dem sie entboten wird, weiß, dass der andere weiß, dass es jedenfalls anders gemeint ist denn als pures Willkommen. „Grüsse Sie“ entspricht einer triadischen Struktur, denn es ist eine Referenz auf jemand oder etwas Dritten im Spiel, auf eine Konvention, auf ein Gehört-Sich, auf die Vorstellung, dass jemand anderes das jetzt erwartet, auch wenn er es gerade deshalb nicht wörtlich nimmt. In den Worten Robert Pfallers: Auf eine Illusion der anderen.

„Auch dort, wo nur zwei Leute anwesend sind und Höflichkeiten austauschen, muß die Präsenz eines solchen Dritten vorausgesetzt werden, um die Wirkungsweise der Höflichkeit erklären zu können. Diesem Dritten gegenüber sind die Höflichen Komplizen: Daß sie aus ihrem Austausch von Formalitäten erleichtert und manchmal beschwingt hervorgehen, muß darauf zurückgeführt werden, daß es ihnen gelungen ist, eine Gemeinsamkeit herzustellen, indem einem außenstehenden Dritten gegenüber ein Augenschein aufgebaut und gewahrt wurde – einem…

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