Annelie Pohlen
Gillian Wearing
»Retrospektive«
Kunstsammlung NRW K20, Düsseldorf, 8.9.2012 – 6.1.2013
Abgesehen von einem unauffälligen ‘Rasenstück’ und einer Vitrine mit kleinen Skulpturen, die so – meint man – auch in historischen Museen stehen könnten, dominiert eine Wand füllende Serie eher unspektakulärer C-Prints den ersten Raum. „Signs that say what you want them to say and not Signs that say what someone else wants you to say“, 1992-93, empfängt den Besucher, als gelte es, gleich zu Anfang all das vorzuführen, was er täglich auf der Straße erleben könnte, wenn ihm denn daran gelegen wäre, die Botschaften seiner Zeitgenossen dort zur Kenntnis zu nehmen. Da posieren Männer und Frauen jedweden Alters, mehrheitlich einzeln, mit meist handgeschriebenen Texten auf weißen Pappschildern derart frontal im Bild, dass der im Kunsttempel von allen Widrigkeiten draußen geschützte Besucher sich kaum entziehen kann. „What a lovely girl“ verkündet ein älterer Herr, „Being Gay isn’t bad“ ein Jüngerer, ein weiterer kann sich nicht zwischen dem Mädchen, das er liebt und dem, das er mag, entscheiden und ein Farbiger fragt sich, ob Britannien heil durch die Krise kommt. Ein junge Frau wünscht mit todernstem Gesicht eine gute Zeit, ein Herr im Anzug gesteht vergnügt seine Verzweiflung. Wie ungewiss all dies am Ende ist, dafür liefert ein Polizist den einfachsten Beleg: Auf seinem Schild steht nichts außer HELP.
Dass die Fiktion die Wirklichkeit längst eingeholt hat, zählt zum Repertoire intellektuell gepflegter Salondiskurse. Wer sich indes – frei von derart zweifelhaften Gewissheiten – durch die erste umfassende Retrospektive der britischen Künstlerin Gillian Wearing,…
