Gülsün Karamustafa
MYSTIC Transport Modernity
Ein Gespräch von Michael Hauffen
In kaum einer wichtigen Biennale der letzten zehn Jahre hat Gülsün Karamustafa gefehlt, die damit heute womöglich als die wichtigste Künstlerin der Türkei gelten kann. Mit ihren thematischen Installationen hat sie nicht nur die Aufmerksamkeit auf vermeintliche Nebenschauplätze der Globalisierung gerichtet, sondern auch dem Politischen in äußerst sinnfälliger Weise Ausdruck gegeben. Ihr Hauptaugenmerk ist auf alltagskulturelle Brennpunkte gerichtet, in denen sich traumatische Erfahrungen, aber auch unerwartet kreative Potentiale abzeichnen, was viel Spielraum für Assoziationen schafft. Mit ihrer Mischung aus spontaner Einfühlung und durchdachter Inszenierung ist sie denn auch zum Vorbild einer jüngeren Generation von KünstlerInnen avanciert.
Trotz ihres Erfolges blieb sie der Stadt Istanbul treu – nicht zuletzt weil sie dieser historische und dynamische Knotenpunkt bis heute beeindruckt. Mit ihren anspielungsreichen Einblicken in die Licht- und Schattenseiten unserer modernen Welt wirken ihre Arbeiten wie Prismen, die jeweils einen thematischen Fokus in seine Facetten zerlegen – etwa wenn sie in „Modernity Unveiled“ (2011) mit der österreichischen Architektin Margarete Schütte-Lihotzky, die auf der Flucht vor den Nazis 1938 Aufnahme und eine Anstellung in Istanbul erhielt, eine Phase der wechselvollen Beziehungen zwischen Mitteleuropa und der Türkei rekonstruiert.
Mittlerweile müssen wir zusehen, wie in der Türkei in kurzer Zeit zahlreiche Intellektuelle und Schauspieler entlassen wurden, die der Regierung kritisch gegenüberstehen, und es erscheint daher als trauriger Vorteil, dass die Kunstszene von Anfang an auf private Initiativen bauen musste – doch auch wenn sie deshalb etwas weniger im Fokus nationaler Gesinnungskontrolle steht, ist ihre Lage…