Nichts bietet Deckung vor diesem Angriff
Über die Schubumkehr des Blicks
von Thomas D. Trummer
In der Kirche San Francesco della Vigna in Venedig findet sich ein Gemälde von Giovanni Bellini. [01] Die „Sacra Conversazione“ ist um 1507 entstanden. Für ein Altarblatt bemerkenswert ist das querrechteckige Format, ein Ausschnitt, der im englischen „Landscape Format“ heißt. Raum vermittelt sich hier nicht durch die Ordnungsform mathematischer Gesetze, sondern über Farbe, Dunst und beseelte Harmonie. Vom Anfang einer Wahrnehmungswelt ließe sich hier sprechen, die in der Natur ein inneres Klanggebilde und eine die Lebenswelt steigernde Empfindsamkeit entdeckt. Doch die Entdeckung der Landschaft in Venedig steht nicht nur im Zeichen atmosphärischer Wirkung, sondern ist auch ein Symptom realpolitischer Gefährdung. Unter dem Druck der Liga von Cambrai erlebt die Lagunenstadt eine gefährliche Phase politischer Isolation.
Die Allianz der Gegner (Kaiser, Papst, Könige von Frankreich und Spanien) bringt wirtschaftliche Abschottung und eine erhebliche Kriegsgefahr mit sich. Neue Handelsrouten wie die Entdeckung des Seewegs nach Indien durch die Portugiesen und die Eroberung der Spanier in den Amerikas tun ihr Übriges. Die kolonialistischen Raubzüge der Konkurrenten steigern deren Margen. Der sich abzeichnende Niedergang Venedigs dräut als Gewitter am Horizont. Noch ist die Gefährdung nur ein malerisches Spiel am Himmel der Terra ferma und das Kastell standhaft. Doch der melancholische Firnis, der das Klischeebild Venedigs fortan prägt, hat das Land bereits versiegelt. So lässt sich der Begriff der Renaissance, das erneute Gebären von Kultur und Natur, zumindest für diese Stadt neu definieren als die sinnliche Erschließung einer Landschaft, die von einem Schleier…
