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Magazin: Bücher · von Rainer Metzger · S. 408 - 409
Magazin: Bücher , 2003

Rainer Metzger
Relektüren

Folge 6

Was ich geschrieben habe”, so stellt es die Autorin im Vorwort ihrer Anthologie klar, “ist, genau genommen, keine Kritik, sondern eine Reihe von Einzelfallstudien zu einer Ästhetik, einer Theorie meiner eigenen Erlebnisweise. Es war (wenn mir das auch nicht immer bewußt gewesen sein mag) nicht das spezifische Urteil über das spezifische Werk, um das es mir im Grunde ging. Was Gegenstand der Kritik hätte sein können, wurde zum Material für diesen Versuch einer theoretischen Klärung. Ich hoffe, meine Leser von der Dringlichkeit dieser Aufgabe zu überzeugen; ohne die Bemühung um ihre Lösung bleibt (in der Kunst wie in der kritischen Auseinandersetzung) jede Herausforderung der überkommenen und vorherrschenden Normen des Geschmacks ein Akt der Willkür.”

Die 1968 erstmals publizierte deutsche Ausgabe von Susan Sontags Essays der frühen Sechziger bringt diese Deklaration nur im Nachwort des Übersetzers (S. 356). Und sie verweigert zugunsten einer knallig-poppigen Antithese den originalen Titel, der ursprünglich nach einem der zentralen Texte “Against Interpretation” geheißen hatte. Diese Verzichtsleistungen sind mehr als nachlässig. Denn hier bereits wäre Susan Sontags eigenartige Programmatik der Affizierung greifbar geworden, die für sie typische und nicht weniger als epochemachende Vorstellung, “meine eigene Erlebnisweise” ließe sich mir nichts dir nichts als “Theorie” in den Raum stellen. Mit ihren Analysen glaubte sich die New Yorker Schriftstellerin soweit philosophisch gewappnet, dass ihre “Herausforderung der überkommenen und vorherrschenden Normen des Geschmacks” etwas anderes werden könne als ein “Akt der Willkür”. Doch sie war genau dieser Willkürakt geworden. Als eine der perfektesten Seismosgrafinnen der ästhetischen Verwerfungen ihrer…


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